Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Jacob und Wilhelm Grimm

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Redakteur: Prof. Di-. Hengstenberg. 
Verleger: Ludwig Oehmigke. 
Druck von Trvwitzsch und Sohn. 
ein Zeugniß, das wider-uns ist, hervorheben, daß ein solches 
Wort in der Christenheit nicht den allgemeinsten, den entschie 
densten Widerspruch erfährt, daß wir uns nicht schämen, tief in 
der Seele schämen darüber, daß die Versammlung christlicher 
Gelehrten, die ein Areopag ächter Weisheit unter uns seyn 
sollte, sich mit den Brosamen der Weisheit speisen läßt, welche 
zerschellen muß an jenem auserwählten, von den Bauleuten 
dieser Welt verworfenen Eckstein. Ja, wir wollen uns in 
tiefster Seele schämen, daß wir noch so weit zurück sind in der 
Weisheit, die allein vor Gott gilt; daß wir noch als das Ge 
wöhnliche und Natürliche die Erscheinung hinnehmen müssen, 
welche unsere Weisen richtet schärfer denn kein zweischneidig 
Schwert; und vor Allem, daß die Kirche einer solchen Er 
scheinung gegenüber kein Wort des Zeugnisses, kein Wort des 
Erbarmens und der Bermahnung hat für das Glied ihres Lei 
bes, von dem so weit hin mit der Fackel des Unglaubens, öf 
fentlich und feierlich, Ärgern iß gegeben ist. Oder ärgert sie sich 
an solchem Gebühren ihrer Glieder, solchem öffentlichen Nein 
für die heilige Schrift nicht mehr? und fühlt sie nicht mehr 
die Pflicht, der Wahrheit Zeugniß zu geben und die irrenden 
Glieder zurückzurufen und zu strafen durch den Geist? Wehe, 
wehe uns, wenn die Kirche vor den Heroen menschlicher Weis 
heit stumm bleibt, wenn sie hier still steht und nicht wagt, die 
anzutasten, die gerüstet sind mit jeder Rüstung, nur nicht mit 
dem Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes! — 
Unsere Absicht mit diesem Wort ist keine andere, als die: 
uns Alle zur Besinnung über diese Erscheinung, zum Stillstehen 
vor ihr, zur Buße zu rufen. Wir klagen Niemanden an, als 
uns selbst. Wir reden nicht für die, die sich selbst außen hin 
stellen, sondern für uns, die wir Bürger und Hausgenossen im 
Reiche Gottes zu seyn meinen. Uns bringt es Schmach und 
Schande, daß wir keine Liebe, kein Erbarmen, keine Ermah 
nung, keine Zucht haben. Uns trifft das Gericht, das da an 
fängt am Hause Gottes, zuerst. Was aber will es für ein 
Ende werden mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glau 
ben, so wir ihnen nicht, so lange es Tag ist und Raum zur 
Buße, die Wahrheit bezeugen und sie reizen und locken, ihr ge 
horsam zu werden? 
Ja, Ihr Ältesten, die Ihr unter uns seyd, weidet die 
Heerde Christi, die euch befohlen ist, nicht als die über das 
Volk herrschen, sondern als Vorbilder der Heerde, seyd nüchtern 
und wachet und widerstehet fest im Glauben aller Lüge, und 
gedenket des Wortes eures „Mitältesten und Zeugen der Leiden 
in Christo", der da spricht: 
„Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfan 
gen hat, als die guten Haushälter der mancherlei Gnade 
Gottes. So jemand redet, daß er es rede als Got 
tes Wort. So jemand ein Amt hat, daß er es thue als 
aus dem Vermögen, daö Gott darreichet." 
So dienet denn eurem Mitgenossen, gleichviel ob er in dem 
Purpur der Weltweisheit oder in der Livree des Blinden und 
des Bettlers vor Gott steht, so redet zu ihm, wie Gottes 
Wort zu ihm redet, und beweist es mit der That, daß die 
ziehende und Zucht übende Liebe nicht gar erstorben ist unter 
uns. Schweigt Ihr aber, steht Ihr stumm vor der Weisheit 
dieser Welt, habt Ihr kein Wort des Bekenntnisses und des 
Zeugnisses, wo eure Miterben der Gnade des Lebens sich ver 
irren und Andere auf die Wege des Irrthums verführen, so 
wundert Euch nicht, wenn diese Alle einst wider Euch zeugen 
und Euch verklagen werden, weil Ihr stumm wäret, wo Ihr 
reden, weil Ihr auf Eure eigene Kraft sahet, und verzagtet, 
wo Ihr Euer Amt aus dem Vermögen, das Gott darreichet, 
führen solltet. Wundert Euch nicht, wenn Viele, Viele, die 
noch nicht wider uns sind, solch Schweigen dahin deuten, daß 
die wissenschaftlichen Forschungen doch zu solchem Nein führen 
müssen, und daß es daher mit dem Ja der Kirche so ernst 
und genau nicht zu nehmen ist. 
Was verlangen wir also? Wir verlangen, ja wir 
bitten und flehen, daß die Kirche nicht länger ignoriren möge, 
was ihre Glieder auf dem Gebiet der Wissenschaft öffent 
lich zu Markts bringen als die Schätze und Edelsteine, die sie 
in ihrer Arbeit erworben haben; daß die Kirche ein Wort des 
Zeugnisses, Hirtenbriefe der geistlichen Pflege und Huth Er 
scheinungen gegenüber habe, welche sie sowohl um der Person 
willen, von der sie ausgehen, als um der Wirkung willen, die 
solcher Erscheinung folgen, auf das Engste berühren; daß bei solchen 
öffentlich en Jrrgängen dem Irrenden, sey er ein Weiser oder ein 
Unwissender, der Wächterruf der Liebe nicht fehle Seitens derer, 
die das Wächteramt haben; kürz: daß die Jsolirtheit un 
sers kirchlichen, unsers Christenlebenö ein Ende 
nehme, und vor Allem die kirchliche Obrigkeit anfange, die 
Kirche als Einen Leib zu betrachten und zu behandeln, dessen 
Glieder unmöglich nur theilweise solche seyn können und theil- 
weise nicht. Ja, es ist wahrlich Zeit, hohe Zeit, daß wir 
Ernst machen mit dem, was wir bekennen, damit wir nicht 
dem Gericht der Heuchelei verfallen, welches Alle trifft, die 
kein Ja haben, das wahrhaftig ja ist, und kein Nein, das 
wahrhaftig nein ist! Wir können nicht Ja sagen und Nein 
thun, sondern Glauben und Leben, Bekenntniß und Wandel 
sollen Ein Ja seyn zur Ehre des treuen und wahrhaftigen 
Zeugen, des Erstgebornen von den Todten!
	        

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