© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
Ein von Neid gestachelter thatkräftiger, gescheu
ter Mann. Er ging planmässig vor; sein be
kannter Versuch, Goethe und Schiller auseinander
zu bringen, war fein berechnet. Als er sich in
Weimar unmöglich gemacht, nahm er den Kampf
aus der Ferne auf. In Berlin fand er verständ
nisvolle Helfershelfer. Die Aktion der Berliner
Kritik gegen Goethes stille Uebermacht ist be
sonders dadurch interessant, dass seitens dieser
verbündeten energischen Mittelmässigkeiten der
Rechenfehler begangen ward, Goethe werde rea-
giren. Goethe aber blieb kühl und that, als seien
die Herren nicht vorhanden. Ja sogar, da Kotze-
bue ohne Zweifel ein höchst befähigter Bühnen
dichter war, ein geistreicher, amüsanter Schrift
steller, dessen Werke man nicht entbehren konnte,
so führte Goethe diese in Weimar auf, erkannte
ihre Verdienste an und behandelte Kotzebue mit
gleichgültigem, gütig herablassendem Wohlwollen.
Kotzebue ist in der That ein äusserst geschick
ter Dramatiker gewesen, der als Dichter und
Journalist, wahrscheinlich auch im persönlichen
Verkehr das unpersönliche Gelächter der Menge
für sich hatte, dem die Tiefe aber fehlte, die
allein nachhaltigen Erfolg sichert. Die Sprache
auch seiner besten Arbeiten war die des mühsam
zugespitzten Tagesgesprächs. Sobald er pathe
tisch wird, klingen seine Sätze lächerlich. Ich
habe einmal in meiner Jugend einen ganzen Arm
voll Schriften Kotzebues für das Deutsche Wörter
buch excerpiren müssen und so gut u r ie nichts
Lebendiges darin gefunden. —
Br.s Sammlung würde auch für das neu zu
verfassende Deutsche Wörterbuch guten Ertrag
gegeben haben, das unter günstigeren Umständen
von Berlin aus längst wahrscheinlich unternommen
worden wäre, leider nun wohl noch ein wenig
wird warten müssen. Ein Werk dieser Art ist
unentbehrlich. Es wird ja doch wohl endlich
zum Angriffe dieses nationalen, alle Deutsche an
gehenden Unternehmens kommen, dessen Bearbei
tung an allererster Stelle stehen wird, denn die
deutschen Dialekte sind im Aussterben begriffen
und, um ganz allgemein zu reden, die Ehre
Deutschlands fordert diese Arbeit. —
Ueber den vorliegenden letzten, nicht sein-
starken Band des Braunschen Lessingwerkes sei
noch gesagt, dass er nur ‘Nachzügler’ zu Lessing
enthält, deren Anonymität aufzuklären Br. meistens
nicht gelungen ist. „Die Anonymität, sagt er,
wurde zu jener Zeit sehr streng gewahrt, so
dass wir heute vielfach nur auf Vermuthungen
angewiesen sind.“ Ferner wird ein Register
geliefert. Beschäftigt w r ar Br., als er starb, mit
einem Buche, dessen Manuskript, wie wir lesen,
noch ungedruckt vorliegt: Lessing im Ur-
theile seiner französischen Zeitgenossen.
Wünschenswerth wäre der Druck gerade dieser
Arbeit, für die Br. in seiner letzten, durch zu
nehmende Leiden getrübten Zeit auf mehreren
Bibliotheken, besonders der zu Gotha, arbeitete.
„In hoffnungsvolleren Momenten äusserte er da
mals wohl (lesen wir in dem Vorworte seiner
Frau): ‘Nur einen einzigen Wunsch habe ich an
das Schicksal: dass es mir vergönnt sein möchte,
dies ganze Kritikenwerk nun noch einmal von
vorn angefangen einheitlich kritisch bearbeiten zu
dürfen’. Braun hat thatsächlich am ersten Band
‘Schiller im Urtheile seiner Zeitgenossen’ diese
Arbeit noch begonnen“. Ein ergreifendes Zeug-
niss seines treuen Fleisses und seiner Bescheiden
heit.
Ich habe Julius W. Braun persönlich nicht
gekannt, auch nicht in Verbindung mit ihm ge
standen.
Berlin. Herma n Grimm.