© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
aus
1898, Mai 26
Eugene Bouvy, Voltaire et litalie. Paris, Hachette
et Cie, 1898. S. 8°. Fr. ES-
In der Vorrede heisst es:
„Italien wird in Voltaires Schriften oft er
wähnt und Voltaires Name ist den gleichzeitigen
italienischen Schriftstellern geläufig. Nicht blosser
Zufall, sondern ununterbrochener Ideenaustausch
hat zwischen Voltaire und Italien ein geistiges
Band gewoben. Die Geschichte dieser Be
ziehungen unternehme ich im vorliegenden Buche
darzustellen. “
„Zuerst wird von der Sprache die Rede
sein. Dante und Ariost kommen in Frage. Bei
Tasso ist die neuaufgestellte Vermuthung zu be
handeln, wieweit Voltaires Henriade ihm und
seiner Schule vielleicht verpflichtet sei.“
„Für Voltaires Zeitalter nimmt die Bühne
das Hauptinteresse in Anspruch. Der bürger
liche und sittliche Zustand Italiens ist hier in
Betracht zu ziehen, festzustellen, in welchem
Umfange Voltaire, so lange er lebte und nach
seinem Tode, auf Italien einwirkte. Auch von
der Philosophie wird die Rede sein müssen.“
„Ein weites Feld der Beobachtung thut sich
uns auf. Unter den wenigen, die es erforscht
haben, bilden italiänische Gelehrte die Mehrzahl;
der Ertrag ist im allgemeinen ein dürftiger ge
wesen. Es war jedoch keine leichte Sache, das
weitzerstreute Material zusammenzubringen und es
bedurfte nicht nur genauer Kenntniss des fran
zösischen achtzehnten Jahrhunderts, sondern auch
des italiänischen Settecento.“
Aus dem Buche geht hervor, dass beide
Jahrhunderte dem Vf. bekannt sind; festzustellen,
bis zu welchem Grade, unternehme ich hier
nicht, aussprechen aber darf ich, dass ich das
Buch mit dem angenehmen Gefühle gelesen habe,
einem feingebildeten Autor zu begegnen, dem
ich für die Auffrischung älterer in der gleichen
Richtung betriebener Studien dankbar bin. Die
Franzosen sind uns in der Kritik dessen, was
die Bühne angeht, überlegen. Mit welcher Fein
heit wird vom Vf. der höhere ästhetische Werth
einiger Dramen Alfieris abgewogen, die er mit
Dichtungen Voltaires vergleicht. Wenn man be
denkt, wie oberflächlich, meist kaum aus eigner
Kenntniss heraus, Alfieris grossartiges Talent ab
geschätzt zu werden pflegt, erfüllt es mit einer
gewissen Beruhigung, den Ausführungen zu be’
gegnen, die das vorliegende Buch über den
grossen Italiäner bietet.
Voltaire ist nicht bloss seines Zusammen
hanges mit Friedrich II. wegen ein wichtiger
Mann für die Geschichte des 18. Jh.s. Man
könnte behaupten, es liege etwas Zufälliges in
ihrer Verbindung, und die eigentlichen Gedanken
des Königs, auf die es uns zumeist ankomme,
hätten nichts mit Voltaire zu thun gehabt. Das
selbe könnte dem Verhältnisse gegenüber behaup
tet werden, das zwischen Voltaire und Lessing
bestand. Viel tiefer allerdings ist Voltaires Ein
fluss auf Goethe und erheblich Schillers Werth
schätzung des Mannes, welcher denn doch auch
ein Dichter war. Zu umgehen ist Voltaire nicht.
Nun stellt Eugene Bouvy ihn im Verkehr mit
Italien dar und zeigt, ohne dies jedoch zu wollen,
wie neben Voltaires Einfluss auf Deutschland ein
noch stärkerer auf eine andere, Voltaire direkt
verwandte Nation bestand, welcher noch sicht
barer hervortritt. Und bei Betrachtung seines
Verhältnisses zu England könnten in Bezug auf
Dichtkunst, Philosophie und, allgemeiner gesagt,
populäre Denkungsart, vielleicht ähnliche Zu
sammenhänge sich zeigen. Doch fehlen mir hier
für genauere Studien und ich weiss nicht, in
welchem Maasse Taine oder andere in Taines
Sinne arbeitende Historiker sich hierüber bereits
ausgesprochen haben.
Berlin.
Herman Grimm.