© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
Rezension eines Werkes von Walter Hobert-Tornow,
y
unvollständig,
aus : deutsche Litteraturzeitung, Nr. 41
1897,0kt.l6, S. 1631
Das Königliche Schloss umfasst neben dem
neuen Bau Schlüters eine Anzahl ganz alter Be-
standtheile, Bauten, die nach dem Flusse gelegen,
auch äusserlich ihre Gestalt bewahrt haben. Hier
ist die Privatbibliothek des Kaisers untergebracht
und anstossend an sie bildeten einige Zimmer die
Wohnung des Bibliothekars. Unregelmässige,
übermässig hohe Räume, eng erscheinend ob
gleich geräumig. In den vörüberfliessenden dunklen
Fluss gehen die hoheu Fenster, nach der einen
Seite erblickt man, erhabener wie von jeder
anderen Stelle aus, die Brücke mit der Statue
des grossen Kurfürsten. Hier richtete W. R.
sich ein. Aus vielen Generationen waren wohl
erhaltene alte Möbel und schmückende Kostbar
keiten an ihn gelangt und hatten sich wie für
einander bestimmt zusammengefunden. Hier hauste
er wie eingemauert und wurde doch von vielen
Seiten aufgesucht. So weit ich in meinem Ge
dächtnisse herumkrame, eine Existenz wie diese
finde ich nirgends; sie scheint in die zu ge
hören, welche Goethe darstellte, als er die in
ihre Häuser verschlossenen einsamen wunderlichen
Herrn des alten Frankfurts schilderte, in dem er einst
ein Kind gewesen. Nur dass W. R. noch jung
war; seine Kränklichkeit aber verhüllte seine
Jugend beinahe. Er hatte kein rechtes Alter.
Er stand ausserhalb der Reihen der gewöhnlichen
Sterblichen. Wenn er von seinen kostbaren
Weinen zu trinken nöthigte, aus Gläsern, die
man als Kunstwerke behutsam am Stengel fasste,
so wusste er ganz genau, wie viel, d. h. wie
wenig er seines leidenden Herzens wegen mit-
trinken durfte; über das Nippen kam er kaum
heraus. Solche Gestalten könnten zum Me
moirenschreiben reizen. Denn wunderbar war
es, wie auch das, was W. R. erlebte, in diese
Scenerie hineinpasste. Doch hier sei ein Ende
gemacht.
Es könnte gefragt werden, wie dergleichen
in diese Blätter gehöre. Nun, diese Gedichte
bedurften einer Erklärung. Sie wären unver
ständlich ohne das. Jedes davon ist die Frucht
tiefer Empfindung, vieler Gedanken und feilender
Umgestaltung. Entweder muss man diese Verse
so lesen oder nicht. Jedes Wort darin ist ein
inneres Erlebniss. Keines Mannes aber, der,
mochte sich ereignen was da wollte, aufgehört
hätte, einsam und traurig zu sein. Gerade vor
einem Jahre starb er in Helgoland. Ohne Krank
heit. Im vollen Bewusstsein seines Zustandes.
Beim letzten Besuche des Arztes empfing er ihn
mit: Moriturus te salutat! Seine Leiche wurde
nach Berlin gebracht und im Begräbnisse der
Familie beigesetzt.
Berlin. Herman Grimm.