Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
aus : Deutsche Litteraturzeitung, Nr. 27,
1897, Jul.10, S.1064-1065
Das Rathhaus zu Zerbst. Ein Beitrag zur
Kunstgeschichte des Herzogthums Anhalt.
Mit vierzehn Lichtdrucktafeln und erläuterndem Text
herausgegeben von Robert Schmidt, Geprüftem
Architekten und Bauschuldirektor. Zerbst, Kommissions
verlag von Friedrich Gasts Hofbuchhandlung, 1897.
III, 12 S. mit 3 Fig. Gr. Fol. ln einer Mappe. M. 25.
Der Verf. dieser schönen und lehrreichen
Publikation beschreibt und zeigt uns das Zerbster
Rathhaus in verschiedenen Epochen seines Da
seins bis auf den heutigen Tag, wo es mit einem
Anfluge der Bauart des ausgehenden 16. Jahr
hunderts so gut wie neu wiedererstand, um
abermaligen Renovirungen späterer Tage einst
sich darzubieten. Denn das ist das Schicksal
aller Bauten: bis zu ihrem endlichen Untergange
oftmals ihr Aussehen zu verändern. Veröffent
lichungen wie diese sind aber besonders wichtig.
Denn in unserem Jahrhundert zuerst hat man an
gefangen, bei Renovirung von Gebäuden ganz
bestimmte Baumanieren früherer Zeiten nachzu
ahmen, dass es den Anschein gewinnt, als stehe
uns nichts Neues, sondern vorzüglich erhaltenes
Altes vor Augen, Resultate historischer Studien,
wie man bei Maskeraden alte Trachten wieder
lebendig werden lässt. Aus all diesen Versuchen
wird sich früher oder später ein allgemeiner
herrschender Stil entwickeln.
Von dem neuesten Umbau des Zerbster Rath
©
hauses dürfen wir sagen, dass der Architekt seine
Aufgabe vortrefflich gelöst hat. Er hat aus den
kahlen Wänden, die ihm gegeben waren, leben-
dig gegliederte Architekturmassen geschaffen,
denen man bei allem Anscheine von Vergangen
heit der Formgebung sofort zugleich ansieht,
dass gut geschulte moderne Phantasie die
schaffende Kraft gewesen sei. Die Innenräume
muthen uns behaglich an und zeigen bescheidene,
aber solide bürgerliche Pracht.
Als architektonische Merkwürdigkeit erscheinen
vier die schweren Balkenzüge des östlichen Kellers
einst stützende Säulen, deren antikromanische
Knäufe auf Zeiten hinweisen, die mit den heute
ersichtlichen ehemaligen Zuständen des Rathhauses
nichts zu thun zu haben scheinen. Der Verf.
meint, diese Ueberbleibsel ganz anfänglicher Zeit
könnten einem profanen Gebäude nicht angehört
haben. Die Kapitelle und Basen stehen jetzt im
städtischen Museum. Es sind Abbildungen ge
geben. Anmuthige, durchaus in antiken Formen
geschaffene Steinmetzarbeit.
Berlin. PI e rman Grimm.