Full text: Rezensionen von Herman Grimm aus der Deutschen Litteraturzeitung (1886 - 1900)

Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
Seine berühmteste Büste ist die Lord Byrons. 
Der die vornehmste römische Gesellschaft 
seiner Lebenszeit damals beherrschende Kultus 
des Alterthums gab ihm die fruchtbringende 
Lebensluft. Der Venetianer Canova war in Rom 
zuerst sein Vorbild, Rauch und Cornelius waren 
seine Freunde, von dem Grossen Napoleon stammte 
der Auftrag zum Alexanderzuge, der, zuerst für 
den Lateran in Rom bestimmt, heute noch die 
Villa Carlotta schmückt, eines der festlichsten 
Werke, welches die neuere Zeit hervorgebracht 
hat, nicht in einem kunsthistorischen Zuchthause 
numerirt in Reih und Glied stehend, sondern den 
grossen Saal des mit Werken des Schüler Ca- 
nova’s erfüllten Landhauses als lebendiger 
Schmück innen umgebend und zu den Herrlich 
keiten der neueren Kunst gehörig, die jede Zeit 
mit Andacht betrachten wird. 
Den von der leichten Wolke heutigen Kunst 
unverständnisses überflogenen Künstler wieder in 
volleres Sonnenlicht zu rücken, war das Ziel, das 
Julius Lange sich steckte. Ohne Zweifel wird, 
wie er gesagt hat, Thorwaldsens Zeit wieder 
kommen, aber nicht in erster Linie aus den 
Gründen, die er darlegt. 
Ich möchte glauben, dass der zu früh ver 
storbene dänische Kunsthistoriker von der Ge 
schichte der alten Kunst zu der der neueren über 
ging und in der Betrachtung der Werke des Alter 
thums seinen Blick für die des Künstlers schärfte, 
den er den ,grössten Dänen' nennt. Lange hat 
Recht, wenn er ihn über Canova stellt. Thor- 
waldsen besass, was diesem mangelte, ein fast 
antikes Feingefühl für richtiges Abmessen der 
Licht- und Schattenmassen, das die heutigen 
Bildhauer und auch das heutige Publikum beinahe 
verloren haben. Aber man wird, weil die antiken 
Werke uns zu deutlich immer doch vor Augen 
stehen, es wieder gewinnen. Diese Hoffnung 
spricht Julius Lange nur zu unbestimmt aus, 
wenn er sagt, dass Thorwaldsens Zeit einmal 
wieder kommen werde. — 
Ich bemerke noch, dass ich das dänische 
Original des Langeschen Werkes nicht kenne, 
die Verdienste der Uebersetzerin als solcher also 
nicht zu beurtheilen vermag. Der Diction nach 
ist Mathilde Mann’s Uebertragung wohlgelungen. 
Ihre Arbeit liest sich, als ob sie deutsch gedacht 
und geschrieben sei. 
Berlin, Mai 1897. Herman Grimm.
	        
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