aus : Deutsche Litteraturzeitung,Nr. 2
1898,Jan.15, S. 81-83
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
Festschrift zu Ehren des kunsthistorischen
Institutes in Florenz. Dargebracht vom
kunsthistorischen Institut der Universität Leipzig.
MDCCCLXXXXVII. Leipzig, Liebeskind, 1897. IV
u. 200 S. mit 35 Textillustr., 12 Heliograv. u. 10 Auto-
typie-Taf. Fol. M. 26.
Es giebt also ein kunsthistorisches Institut 1
in Florenz. Und auch eins in Leipzig. Dass
das erstere kein Reichsinstitut ist, wissen wir
aus den Zeitungen. Ob das zweite ein königl.
sächsisches sei, ist mir unbekannt. Ein Deut
sches kunsthistorisches Institut existirt weder in
Florenz noch in Rom.
Die neuere Kunstgeschichte umfasst ein einst
weilen unübersehbares Gebiet. Denn wer einen
allgemeinen Ueberblick, im geographischen wie
im chronologischen Sinne, etwa gewonnen zu
haben glauben möchte, den belehren die auf
allen Seiten sich neu aufthuenden Publikationen,
dass wir uns doch eigentlich erst in den An
fängen exakter Materialsammlung befinden. Es
ist nicht abzusehen, wann an den nur vorläufigen
! Abschluss dieser Veröffentlichungen zu denken
sei. Spanien fängt eben erst an, sich zu er-
schliessen. Italien aber, die urbekannte Heimath
künstlerischer Thätigkeit und kunsthistorischer Be
trachtung, scheint gleichfalls jetzt erst in seinen
Tiefen bekannt zu werden. Jeder neue Spaten
stich — um bei dem Bilde zu bleiben — ge
währt neue Ausbeute.
Nicht deshalb aber gehört ein Deutsches
kunsthistorisches Institut nach Florenz (oder nach
Rom mit einer Florentiner Filiale), weil es für
die Materialsammlung gute Dienste leisten würde,
sondern weil die Entwicklung der toskanisch
römischen Kunst von 1250—1550 maassgebend
ist für alles neuere Kunststudium. In diesen
300 Jahren ereignet sich auf beschränktem
italienischem Gebiete, dass die wunderbare
geistige Entfaltung eines für alles Geistige hoch-
begabten Volkes in den bildenden Künsten und
in der Dichtkunst sich vollzieht. Mit der Be
trachtung des Vollkommensten muss bei jeder
Forschung und bei Belehrung der Jugend be
gonnen werden: alle dozierende Betrachtung der
antiken Welt muss von dem ausgehen, was von
Homer bis zu den athenischen Tragikern künst
lerisch geschaffen ward, alles Studium der neueren
Kunst muss mit dem beginnen, was Dante und die
toskanischen Maler, Bildhauer und Architekten ge
schaffen haben. Da handelt es sich nicht im Hin
blicke auf die deutsche Kunst um den Vorrang
des ‘Nationalen’. Das Nationale trägt der in sich,
j welcher die Betrachtung anstellt, den Stoff
bietet die Menschheit.
Wieviel Mühe man sich vor Zeiten schon ge
geben hat, von Berlin aus ein kunsthistorisches
Institut in Italien zu begründen, wird vielleicht
einmal bekannt werden. Immer wieder ist aus
geführt worden, wie die Anfänge des römischen
archäologischen Instituts die wissenschaftliche Be
trachtung der neueren Kunstgeschichte bereits in
sich schlossen. Wie Winckelmann, Wilhelm von
Humboldt, Niebuhr und Bunsen in diesem Sinne
wirkten. Nichts jedoch war zu erreichen. Unter
drücken aber lassen sich die richtigen Gedanken
nicht. Und so sind sie zu Leipzig in günstigeres Erd
reich gekommen. Mögen sie sich gut entwickeln.
Ich selbst halte mich, was direkte Theilnahme
anlangt, zurück, da ich ein Recht auf Ruhe habe.
Die vorliegende Festschrift enthält eine An
zahl von Aufsätzen, toskanischer Kunst gewidmet.
Die Arbeiten tragen den Charakter der Gewissen
haftigkeit und Sorgsamkeit. Professor Schmarsow
zu Leipzig, von dem sie der Hauptmasse nach
herrühren, gehört zu den Wenigen heute, die im
Sinne Rumohrs und Crowe und Cavalcaselles in
in Italien fortarbeiten. Er war es, der den Ge
danken, ein kunsthistorisches Institut in Florenz
zu errichten, festgehalten hat, und das vor
liegende Heft ist wohl als das erste vieler
nachfolgenden zu fassen, die er vor sich sieht.
Papier und Druck sind splendid, die beigegebenen
Illustrationen (in Berlin gefertigt) vorzüglich. Sogar
diejenigen, welche Bekanntes geben, geben es
neu: die beiden Blätter nach Raphaels Sposaüzio
sind einzig in ihrer Art. Im Ganzen erscheint
mir die Publikation zu kostbar.
Möge sich in Deutschland ein Publikum finden,
welches dem Kunsthistorischen Institute
zu Florenz sicheren Boden schafft. Schön wäre
es, wenn die Kgl. sächsische Regierung die
Angelegenheit als deutsche zu der ihrigen machte.
Denn ohne einen Rückhalt dieser Art dürfte das
Unternehmen schon deshalb ein verlorenes sein,
weil die italienische Regierung, ohne die nichts
zu erreichen wäre, den richtigen Gesichtspunkt
diesen deutschen Bestrebungen gegenüber nicht
finden würde.
Berlin. Herrnan Grim m.