© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
Da kam sein Spezi Monsieur Charles de Paris, auch
ein großer Dürer-Forscher vor dem Herrn. Der sah die
Blätter, fand noch andere dergleichen in einer Privatsamm
lung in Dresden. Heureka! Nun war der Tag des
Triumphes gekommen, und Monsieur Charles publicirte in
der Gazette des Beaux-Arts, deren Seiten er öfter mit
seinen Beitrügen verziert, eine sehr gelehrte Abhandlung
unter dem gewählten Titel: „Un voyage inedit d'Alberfc
Dürer.“ Darin wird blos aus Grund jener Skizzen des
Weiten und Breiten und Genauesten nachgewiesen, wie
Dürer um das Jahr 1515 am Ober-Nhein, in Schwaben
und in der Schweiz umhergereist sei, was er dort Alles ge
than, mit wem er verkehrt habe u. s. w. Die Geschichte er
innert lebhaft an das Wunder des Entkrist, das im mittel
alterlichen Volksbuche so oft beschrieben und abgebildet wird,
wo nämlich der Antichrist ein ganzes Schloß an einem Haar
aufhängt. Wer aber die elegante Methode von Monsieur
Charles kennt, wird daran nichts Ausfallendes finden. Selbst
verständlich ist diese werthvolle Abhandlung auch in preciösem
Separat-Abdrucke erschienen, auf Kosten der reichen Familie,
deren gelehrte Zierde nun einmal der Verfasser bildet.
Jetzt tritt aber erst der eigentliche Komiker in dem
Stücke auf, unser Beta Kappa Phi, der „Berliner Kunst
freund". Der übernimmt die Krönung des Gebäudes, will
sagen des an einem Haare hängenden Schlosses. Er hat
den feinen Separai-Abdruck des Aufsatzes erhalten und preist
denselben nun im April-Hefte der „Deutschen Rundschau"
an: „Er übertrifft Alles, was er (Charles E.) bisher in
Betreff Dürer's herausgegeben hat. Mit ganz geringem, zum
Theil längst bekanntem Materiale sind durch geistreiche Be
handlung eine Reihe neuer Daten aus Dürer's Leben ge
wonnen worden, die wir, obgleich Manches nur als Ver-
muthung gegeben wird, gerne annehmen. Eine bisher un
bekannte Reise, 1515 von Stuttgart aus nach dem Elsaß
und Zürich ausgedehnt, liegt in eigenhändigen Illustrationen
Dürer's vor uns. Hanns Baldung Grien erscheint in enge
rem Verhältnisse zu ihm, und sogar Erasmus und H.
Holbein treten auf diesem Schauplatze glaubwürdig auf.
E.'s Coniccturen^einer Reibe von Federzeichnungen gegen-.
über, welche er für Illustrationen zu Erasmus' „Lob der
Narrheit" erklärt, sind überraschend." Sodann bricht der
„Berliner Kunstfreund" in den Klageruf auö: „Warum
haben wir Niemanden in Deutschland, um desgleichen zu
schreiben? Warum nicht eine Stelle, wo sich auch nur das
Material für solche Arbeiten zusammenfände?" Und ganz
am Schlüsse die helle Resignation: „Frankreich übertrifft uns
hier auf das entschiedenste und beschämt uns auf daS
empfindlichste."
Wir aber schreiten endlich zur Auflösung des heiteren
KnotenS: Alle jene Zeichnungen, die als die einzigen An-
haltSpunkte für Dürer's jahrelanges Umhcrreiseu im Elsaß
vorgebracht werden, sind ganz sicher nicht von Dürer, und
auch die Aufschriften auf denselben haben mit Dürer's Hand
gar nichts gemein, als eben den allgemeinen Zeitcharalter.
Sollte das noch eines genaueren Beweises bedürfen, so wird
einer meiner braven Schüler gewiß bereit sein, den wahren
Sachverhalt ad oculos zu demonslriren, und er wird, wie
ich zuversichtlich vermuthe, zu dem Ergebnisse kommen, daß diese
Zeichnungen vielmehr von dem Freunde Dürer's, Hanns Bal-
dung, genannt Grien, herstnnnnen, der zu Straßburg wohnte
und es daher leicht hatte, im Elsaß umherzusahrcn. Ich *
selbst könnte freilich unmöglich allen den selten Kunst-Enten i
nachjagen, welche diese Herren aushecken und aufflattern lassen, !
auch wenn ich der geübteste Schütze wäre. Drum freut cö!
mich, daß auf unserem Wiener Schießstaude auch noch jüngere j
Augen zielen gelernt haben.
So reißt denn daS Haar, an welchem der Antichrist i
sein Schloß aufgehängt hat. DaS Luftgcbüu zerfällt in eitel j
Plunder. Und was machen wir nun mit der glorreichen
Krönung desselben von unserem Beta Kappa Phi, dem
„Berliner Kunstfreund" ? Man könnte helllaut lachen bei.
solcher Comödie — aber — dieser Mann nimmt eine hoch
wichtige. Stellung ein in Berlin.
Es sei genug von Berlin! Dnö näch stein al bleiben wir
daheim, und ich erzähle meinen lieben Wienern einige Bei
spiele von dcni seltenen Kunstverständnisse und der bcispiel-
. Zofen Kunstliebe. die bei uns herrschen.