© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 26
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dieser Sucht heilen, zu einer Zeit, wo die Kartoffel
krankheit sie bereits davon geheilt hatte und die armen
Irländer zu Tausenden Hungers starben. England
stand wie gelähmt diesem großen Unglück gegenüber;
alle seine Anstrengungen waren, wie man damals zu
sagen pflegte, mal ckireeteä, d. h. ste bestanden aus
lauter kleinlichen philanthropischen Hülfsmitteln, die
wie Sandkörner in dem Meer der Nationalcalamität
zerrannen. Das gab hauptsächlich zur Anklage Veran
lassung, daß die Engländer innerlich sich Glück wünsch
ten über diese große Katastrophe, die ste von der Hälfte
der Irländer, die ihnen so viel zu schaffen machten,
kostenfrei befreite. Wie dem aber sey, im Augenblick,
wo die Noth am größten war, trat Soyer auf und
wollte der Retter Irlands werden, ohne der englischen
Regierung die geringsten Kosten zu verursachen, und
die englische Regierung beeilte sich, sein Anerbieten an
zunehmen, und ernannte ihn zum Koch von ganz Ir
land. Die außerordentlichen Mittel, womit er den Man
gel des Nationalgerichtes, der Kartoffeln, zu ersetzen
suchte, waren seine berühmten Suppen, soupe maigre
und grasse. Leider aber fand es sich, als er sich an
schickte , die Suppen im Großen und für eine hungernde
Nation zu bereiten, daß die Kartoffeltheurung eine
Theurung aller andern Nahrungsmittel herbeigeführt
hatte, so daß die Ingredienzien, welche in den neuen
Suppen die Kartoffeln ersetzen sollten, theurer zu stehen
kamen als die Kartoffeln selbst. Die englische Regie
rung hatte dieß in der Rechnung bald ausgefunden; aber
Soyer gab sich diesem Beweismittel gegenüber keines
wegs gefangen. Obgleich es mit den Suppen bloß einen
Tag gewährt hatte, und sie sofort in's Stocken gera
then waren, erklärte er allenthalben die Irländer für ein
unverbesserliches Volk vom verderbtesten Geschmack,
dem man unter keinen Umständen, weder durch mora
lische Ueberzeugungsmittel noch durch physischen Zwang
Suppen beibringen könne. Und er hatte in so fern
Recht, als den Irländern, da Soyers Suppen gleich
nach dem ersten Tage wieder ein Ende hatten, fortan
keine Suppen beizubringen waren, als Wassersuppen.
Durch die Halsstarrigkeit der Irländer, die im
mer noch die Kartoffeln als das wohlfeilste an
sehen, das ihnen, mit Ausnahme der Wassersuppen,
gereicht werden könnte, auf's bitterste gekränkt, kehrte
Soyer nach England zurück, und statt seine Thätigkeit
ferner einer undankbaren Nation zu widmen, wollte er
sie dem ganzen Menschengeschlechte zu gute kommen
lassen. Von nun an beginnt seine literarische Lauf
bahn; lein erstes Werk, wenn wir nicht irren, ist un
ter dem Titel: »Oastronomie regen erator« erschienen.
In diesem Werk, wo Liebig und Dumas jeden Augen
blick eitirt sind, sucht er vor allen Dingen nachzuwei
sen, daß das Menschengeschlecht durch eine bessere,
den Gesetzen der Vernunft angemessenere Zubereitung
der Nahrungsmittel förmlich regenerirt werden könnte,
daß eine solche Zubereitung mit weit geringeren Kosten
verbunden sey, als die gewöhnliche, und daß jede Zö
gerung in der Annahme seines Systems England an
den Rand des Verderbens bringen müßte. Also da
mals schon wollte Soyer England durch die Kochkunst
retten. Was damals besonderes Aufsehen machte, war,
daß er den Engländern vorwarf, sie kennen die „Feuer
seite," die ihnen so theuer ist, bloß von Einer Seite,
von der nämlich, wo sie mit dem »llome« in Verbin
dung steht; die Feuerseite, so fern sie mit der Küche
in Verbindung steht, sey ihnen kläglich fremd geblieben.
Nun gebe es aber nichts vielseitigeres, als gerade diese
Seite der englischen Feuerseite, da die Kohlenglut zur
ausgebreitetsten culinarischen Thätigkeit sich von selbst
anbiete, zum Sieden, Braten, Backen und Bräunen.
Gleichzeitig mit seinen literarischen Werken trat Soyer
mit seinen ganz fertigen Saucen auf, Soyers Sauces
genannt, alle von der Regierung patentirt, als höchst
würzhafte, die Verdauung befördernde Brühen. Auch
was man schlechtweg „Eingemachtes" nennt, hat Soyer
nicht unberücksichtigt gelassen, und die eingemachten
Gurken, die unter Soyers Namen zu sehr hohen Prei
sen verkauft werden, stehen in großem Ansehen. Bei
solchen Vorarbeiten und solchen Verdiensten dürfen wir
uns nicht wundern, wenn Soyer in einem Augenblick,
wo alle Welt von den rohen Kaffeebohnen und dem
rohen Schweinefleische sprach, die in der Krimm ge
nossen werden, sich aufgefordert fühlte, den Krieger die
erste und nützlichste Friedenökuust, die Kochkunst, zu
lehren. Er ging als Privatmann hin, und nebst seiner
eigenen Thätigkeit hat er es den Journalen zu danken,
daß er abermals eine öffentliche, eine politische Person
geworden. Von Scutari wird er sich in's Lager bege
ben und jedem Regiment besonders Unterricht ertheilen.
Da einmal vom Kochen die Rede war, können wir
nicht umhin zu bemerken, daß ein englisches Diner,
wie der amerikanische Gesandte bei Gelegenheit des
Diners bei Eröffnung der königlichen Akademie sehr
richtig äußerte, zu den englischen Institutionen gehört.
Ein rechtes Diner wird gewöhnlich damit eröffnet, daß
man der Queen Victoria und dem Prinzen Albert ei
nen Toast bringt. Seit der Anwesenheit Napoleons
ist es Mode geworden, die Gesundheit des französischen
Kaisers unmittelbar nach der der Königin zu trinken.