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fte wetteiferten, ihr den unendlichen Vorrath der Dinge
zu erklären, jedes liebliche Bild strahlte aus ihr zurück,
und ihre Augen lernten allmählig das Richtige finden.
Das dauerte vom Morgen bis zum Abend. Wie
rollte es fich leicht in den Wagen durch die Campagna,
wie ritt es sich lustig durch die gebirgigen Wege, wie
ging eS sich leicht in den Garten, und Abends, welch
ein Leben! Man sprach, man hörte Musik, man tanzte,
oder die Sale mit den Statuen wurden bei Fackellichte
betrachtet, und dann die Stadt selbst im Mondschein,
und am andern Tage sprangen schon früh Morgenö
die unermüdlichen Fontänen im Sonnenlichte und lockten
sie, ihrem Rauschen zuzuhören.
Der Winter ging so hin, er war ungewöhnlich
milde gewesen. Sie dachten, seine Strenge würde erst
in vollem Maße eintreten, als schon überall die Knospen
wieder sprangen und die Warme zunahm.
Man war eines Abends in der Soiree bei einer
französischen Familie, welche an bestimmten Tagen offe
nes Haus hielt, und zu der sich die Welt drängte. !
Plötzlich sah Heinrich seine Schwester durch die Menge !
auf sich zukommen und still neben sich setzen. Er hatte
ein geräuschloses Zimmer aufgesucht, wie das seine
Art war. Emma drückte sich schweigend an ihn und
legte ihre Hand in die seine; sie war eiskalt. Sie
lehnte den Kopf an seine Schulter und sah zu Boden,
aber sie sprach kein Wort.
„Kind," rief er, „bist du krank?" — „Ja," ant
wortete leise das Mädchen, „ich glaube mir ist nicht
ganz wohl; geh' mit mir nach Hause. Aber sag' den
andern nichts. Laß' uns so fortgehen." — „Ich will'ö
nur irgend jemand sagen, damit sie sich nicht ängsti
gen." Er verließ sie, kam sogleich wieder und ging
bald mit ihr allein durch die dunkle Nacht. Ihre Woh
nung war auf dem Capitol; als sie die Stufen hinan
stiegen, hielt Emma in ihrer Mitte inne und sezte sich
auf einen Stein. „Ich bin so müde," sagte sie, „als
hätte ich Blei in den Knien." Er nahm ihre Hand
und fühlte den Puls. „Fieber hast du nicht, Kind;
ist dir sonst etwas zugestoßen?" — „Ach, Heinrich,"
sagte sie, „ich wollte, wir drei Geschwister waren noch
bei uns auf dem Lande, und du wärst nicht fortgegan
gen, und es wäre nichts vorgefallen. Wir waren da
so glücklich!" Sie fing bitterlich an zu weinen.
(Schluß
„Bist du's jezt nicht, Kind? Ich dachte doch, du
wärest es?" — „Komm," sagte sie, „wir wollen hinauf
gehen." Sie stiegen die lezten Stufen hinan. Es
dauerte nicht lange, so erschienen Albert und der Va
ter, ein Arzt mit ihnen. Es ward eraminirt und be
rathen, irgend etwas Unbedeutendes verordnet, und man
beruhigte sich vorläufig.
Andern Tags kam Emma wie gewöhnlich zum
Frühstück. Es hatten sich schon einige Bekannte einge
funden. Sie sezte sich still hin/ihre Augenlieder sa
hen matt aus und waren leise geröthet, die Wangen
ein wenig blässer, und es schien, als wäre sie größer
geworden. Aber sie aß und trank wie sonst, sezte sich
dann auf den sonnigen Balkon und sah hinab in die
Orangen, die unter ihm in dichten Blättern wuchsen.
Albert ging ihr nach und lehnte sich neben ihr auf
die Balustrade. „Du bist nicht wohl, Emma?" sagte
er. Sie sah ihn an, ganz fremd und kalt. „O ja,
ich bin ganz wohl." — „Dann ist dir vielleicht etwas
Trauriges begegnet?" — „Nein." — Sie erhob sich
langsam, ging in's Zimmer zurück und stellte sich an'ö
Fenster. Wiederum ging er ihr nach und stand neben
ihr. Sie steckte die Hand in die Tasche ihres Kleides
und ergriff ein gefaltetes Papier darin, aber sie zog
eS nickt heraus; dann, nach einer Weile, ging sie auf
den Balkon zu ihrem alten Sitze zurück; dießmal blieb
Albert am Fenster stehen.
„Was hat das Kind?" fragte Heinrich. Der
Vater trat zu ihnen und alle drei blickten vom Fenster
aus nach dem Balkon und sahen das lichtbraune Haar
und die Hand, auf die sie den Kopf stüzte, unbe
weglich. „Geh du zu ihr," sagte endlich Albert zu
Heinrich. — „Lassen wir sie lieber," erwiederte dieser,
„es läge auch in meiner Natur, mir nichts abdringen
zu lassen, das ich nicht ungefragt ausspreche."
Zwei Tage gingen so hin; wie ein ermattender
Wind flogen sie über Emma, die keiner fragte. Am
Nachmittag des dritten trat Albert in daö gemein
schaftliche große Zimmer. Es war leer; nein, er hörte
athmen, sie lag auf dem Sopha und schlief. Er trat
näher, die eine Hand lag unter ihrer Wange, die an
dere lang ausgestreckt; aber sie hielt etwas, etwas
Weißes, Gefaltetes. Albert sah schärfer hin: sie hielt
einen Brief,
folgt.)
Die politische Kochkunst.
Der größte Mann in England ist in diesem Au
genblick ein französischer Koch, So per mit Namen.
Die Zeitungen können nicht laut genug das Lob dieses
Mannes verkünden, der durch sein Talent in der
Kochkunst die Kranken in Scutari gesund zu machen
scheint. Die Minister taugen nichts, die Generale
taugen nichts, das Commissariat läßt die Soldaten in
der Krimm verhungern, und die Aerzte lassen die
Kranken in den Hospitälern umkommen; aber seit Soyer,
der Koch, auf dem Schauplatz des Kriegs erschienen,
hat alles eine andere Wendung genommen. Warum
sind so viele Tausende von Soldaten umgekommen?
weil sie nicht zu kochen verstanden. Warum starben so
viele Tausende in den Hospitälern? weil die Englän
der nichts als Pudding zu machen wissen. Soyer hat
dem Pudding den Krieg erklärt, und überall hört man
das Triumphgeschrei: es lebe der pot-au-feu! es lebe
Soyer, der den pot-au-teu den Engländern zugänglich
gemacht! Soyer ist mit Einem Wort der große Re
formator, der den Engländern Noth that. Die Times
stellt ihn in einem Leitartikel als den Retter Englands
hin, und kann nicht Worte genug finden, um den
Engländern zu beweisen, daß sie, bevor sie sich mit
der Errichtung von Kriegsschulen beschäftigen, vor
allen Dingen darauf bedacht seyn müßten, Kochschulen
zu errichten, einerseits damit die Soldaten, so lange
sie im Dienst sind, nicht wie die Thiere von halb
rohem Schweinefleisch zu leben brauchen, andererseits
aber, damit später, wenn sie aus dem Kriegsdienst in's
bürgerliche Leben zurückgetreten, sie die nützlichste Kunst
des Friedens, die Kochkunst in ihren Familien einfüh
ren und weiter verbreiten könnten. So nur könne das
Kriegshandwerk auch bürgerlich nützlich und segensreich
gemacht werden, namentlich für die Miliz, die größten-
theils verheirathet ist.
Was unterscheidet den Menschen vom Thiere?
fragt die Times sehr ernsthaft. Die Vernunft? Dem
großen Journal zufolge ist in den niedersten Ständen
Englands die Vernunft in Allem, was das Leben und
die Vorkehrungen zur Erhaltung desselben angeht, so
wenig entwickelt, daß die höher organisirten Thierklassen
über diese niedern Vclksklaffen gestellt werden müssen.
Auch die Sprache, so wie die Fähigkeit zum Lachen
und Weinen kann keineswegs als das charakteristische
Unterscheidungsmerkmal deS Menschen vom Thiere gelten.
Die Times in ihrer Begeisterung für Soyer und die
Wunder seiner Kunst erklärt für den edelsten Vorzug
des Menschen die Gabe, ein rohes Stück Fleisch
in einen Leckerbissen a la sauce piquante umzu
wandeln.
Die Küche gilt in diesem Augenblicke in England
für den wahren, für den einzigen Maßstab der Kultur,
und in der Küche haben fortan die jungen Soldaten
ihre Kriegsstudien zu beginnen. Und das Alles haben
wir der geistreichen Times und dem geschickten Koch
Soyer zu verdanken. Kein Wunder, daß sein Bildniß
in allen illustrirten Zeitungen figurirt, und daß die rüh
rendsten Auftritte seines Handelns und Wirkens bildlich
dargestellt werden. In den Illustrated London News
sehen wir Soyer dargestellt, wie er im Hospital von
Scutari seine eben fertig gewordenen Suppen und Ra
gouts den Ladies und Gentlemen und Offizieren zu kosten
gibt, die sich alle nicht genug wundern können, wie
man mit denselben Rohstoffen, aus denen der Englän
der bisher nur unverdauliche Puddinge und Beef
steaks zu bereiten wußte, so köstliche Gerichte, und für
einen weit geringeren Preis herstellen kann. Punch
behauptet, wenn der Lordmayor für das Mittagessen,
das er Napoleon III. in Guildhall gegeben, in einen
Baron umgeschaffen worden, könne man für den Koch
von Scutari nicht weniger thun, als ihn zum Earl
oder gar zum Ritter vom Hosenband machen. Daö
Kreuz der Ehrenlegion soll ihm bereits von französischer
Seite verliehen worden seyn.
Soyer begann seine Laufbahn in England damit,
daß er als Koch im Reformclub die ehrenwerthen Par
lamentsglieder, die sich dort zu versammeln pflegen,
durch die Wunder seiner Kunst und die Köstlichkeit
seiner für den englischen Geschmack eigens erfundenen
anglo- französischen Gerichte entzückte, und die reichsten
unter den Lords und Peers machten ihm die glänzend,
sten Anerbietungen, um ihn als Koch für sich zu wer
ben. Aber Soyer hatte von jeher Neigung für das
öffentliche, ja man könnte sagen für das politische Le
ben, und all die glänzenden Aussichten abweisend wußte
er es durch seine Verbindungen dahin zu bringen, daß
die Regierung ihn mit einer Mission nach Irland be
traute. Es war dieß im Jahr 1846 — 47. Die Kar
toffelernte hatte fehlgeschlagen und die Hungersnoth
wüthete in Irland. Die Irländer leben bekanntlich fast
ausschließlich von Kartoffeln, und Soyer wollte sie von