Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Erzählungen und Gedichte

Nachdem man kurze Zeit von Herzen blind gewesen, 
Macht man die Augen auf und lernt am Ende lesen, 
Und, was man liest! — ach Gott! ist Prosa, Wort für Wort, 
Und lautet etwa so: Ach Himmel, wär' ich fort! 
Julie. Das hör' ich nicht mehr an! Noch hab' ich keinen Herrn! 
Ich war ihm freundlich, ja, und war es herzlich gern. 
Es war vielleicht nicht Recht; doch wenn's auch nur so schien, 
Bat' ich dir's willig ab, nur daß Du mir verzieh'n; — 
Und außerdem, er selbst? — was hat er denn verbrochen? 
Weiß er davon, daß wir uns heimlich hier versprochen? 
Kanu er da gegen dich, der ihm ganz unbekannt, 
So seyn wie gegen mich, die ihm beinah verwandt? 
Der er so nützlich war in so viel tausend Fällen, 
Da er mit mir getanzt auf meinen ersten Bällen, 
Bei Hof und in der Stadt. Komm, hier fall' auf die Knie 
Und bitt' die Unart ab! 
Karl. Bei Gott, das werd' ich nie! 
Da kannst du sicher seyn. 
Julie (mit verändertem Tone). Wenn so die Dinge stehn, 
Scheint's am gerathenstcn, demüthig fortzugehu. 
(Geht einige Schrille nach rechts, und dreht sich noch einmal liebevoll um.) 
Komm! — ? — 
Karl (unartig). Um die Predigt noch zum drittenmal zu hören? 
Gut, da du es befiehlst, kann ich dir's nicht verwehren. 
Ich komme. — (Geht langsam einige Schritte zu ihr.) 
Julie (ihn zurückweisend). Nein, mein Freund, jetzt nicht! Und 
weil du mir 
Vom Pred'gen sprichst, so merk' für alle Zeiten dir: 
Es kann wohl eine Frau von Herzen willig seyn, 
Den Unmuth dessen, den sie lieb hat, zu verzeih'n; 
Doch wenn er ihr Bemühn, ihn zu besänft'gen, merkt, 
Statt dankbar ihr zu seyn, im Bösen sich bestärkt, 
Und sie, aus falscher Pflicht, der üblen Laune schmeichelt, 
Und obendrein sogar ein Schuldbewnßtseyn heuchelt, 
So bringt die Schwachheit ihr viel böse Tage ein, — 
Und darauf rechn' ich nicht. — Und nun laß mich allein! (ab.) 
Karl (aufgeregt). Oh, wie's ihr Wort für Wort so von den Lip 
pen fällt! — 
Wer aber sagt mir denn, ob sie sich nicht verstellt? 
Ob diese Predigt nicht und endlich diese Flucht 
Nicht schon ein Dutzendmal mit Glück von ihr versucht? 
Ob ich der erste bin, den sie auf diese Weise 
Erst ärgerlich gemacht, dann abgeschüttelt leise, 
Bis er vom sonn'gen Zweig an einem schönen Tag 
Abfiel und plötzlich tief verdutzt im Grase lag? — 
Oh, in der ersten Zeit! — sie lächelte — mir schien, 
Als brächte ich allein ihr Antlitz so zum Blüh'n, 
Als glänzte mir allein ihr Blick so dunkel tief, 
Als weckt' ich erst in ihr, was noch verborgen schlief; — 
Und als ich's ihr gestand — wie stand siS reizend da 
Und sprang in's hohe Gras und sagte lächelnd: ja! 
O, hätt'ich da gedacht, daß jemand, eh' ich kam, 
So lieblich sie gesehn, so reden sie vernahm! 
Baron (kommt von links und siebt sich um, ohne Karl zuerst zu bemerken). 
Ah, Herr von Mergelbach! —Allein? 
Karl. Ja, Herr Baron. 
Baron. War Fräulein Julie hier? —Wohin ist sie entflohn? 
Wohl in den Garten? — Ja? — Mein bester Mergelbach, 
Sehn Sie die erste Zeit mir meine Schwäche nach; 
Ich bin noch nicht so ganz, bis auf den kleinsten Laut, 
Mit Ihrer stmnmen Art, deutlich zu seyn, vertraut; 
Und aus besondrer Gunst, es kann Sie nicht verletzen, 
Bitt' ich, Ihr stummes Spiel mir deutsch zu übersetzen. 
Karl (wüthend). Mein Herr! 
Baron (den Ton ignorirend und durch die Thürein den Garten sehend). 
Wenn Sie's bemüht, so bitt' ich wirklich sehr— 
Nein, es ist heute heiß, man fühlt sich selbst nicht mehr! — 
Und dabei gehn sie dort — die Damen, ohne Schutz 
Im vollen Sonnenschein! — als wär es recht zum Trutz! 
Als gäb' es keinen Teint und keine Sommersprossen! 
Und was man widerspricht, ist in die Luft geschossen. 
Wahrhaftig, ging das Ding im Hause hier nach mir, 
Bis Sonnenuntergang vernagelt' ich die Thür! 
Was aber hüls' es doch? denn wollten sie entfliehn, 
Zum Fenster ginge hinaus. Sie kennen doch Berlin? 
Karl. Nein. 
Baron. Niemals dort? Das ist doch wirklich ohne Gleichen! 
Die Stadt ist ja in vier, fünf Stunden zu erreichen, 
Und obendrein bequem. 
Karl. Ich war schon öfter dort, 
Doch kenn' ich's nicht. 
Baron (behaglich). Ah so, Sie nehmen mich beim Wort. 
Ja, um bekannt zu seyn — man kanu's in kurzer Zeit; 
Doch lebt man länger dort, da merkt man bald, wie weit 
Man um sich sah seitdem, und wie viel wirklich da 
Zu sehn ist, das mair erst auch nicht von ferne sah. 
Theater, Oper, Kroll, die Schlösser, die Museen, 
Das läßt sich ohne Müh' in wenig Tagen sehn. 
Doch wer den wahren Geist des Treibens fassen will, 
Der bleibt, und überschaut die Art der Leute still. 
Karl (Der Mensch hört niemals auf!) 
Baron. Um ein's nur anzuführen, 
Die Jahreszeiten sind da förmlich zu studiren. 
Im Winter... Oh, Sie sahn da Fräulein Julie nicht! 
Da strahlt die Perle erst in ihrem ächten Licht: 
Unmuthig, frisch, belebt, geistreich in Thun und Reden, 
Bezaubernd insgemein und freundlich gegen jeden. 
Auch hier ist sie scharmant; doch weit, sehr weit von dem, 
Was sie bei Hofe ist. Hier wird man so bequem, 
Man will spazieren gehn, möglichst die Welt vergessen, 
Milch trinken, Kühe sehn und nichts als Schwarzbrod essen. 
Auch das hat seinen Reiz — sogar poet'schen Schimmer, 
Für einen Monat so — Gott schütze mich für immer! 
Karl. Ich seh' nicht ein. . . 
Baron. Ich weiß, Sie wollen mir erwidern ..: 
Als Landwirth .. . Lassen Sie die Frage uns zergliedern. 
Sie haben Recht. Sie sind's von Jugend auf gewöhnt! 
Vergnügt, wo unsereins vor Langeweile stöhnt, 
Stillschweigend gehn Sie gern so Tag für Tag herum, 
Und sehn die Aecker an, uns aber macht das stumm. 
Zum Beispiel... nehmen wir von Fräulein Julie an, 
Das Schicksal gäbe ihr.. . aus Laune. .. einen Mann, 
Der Gutsbesitzer wär' und der sein liebes Jahr 
Da wohnte, wo vor ihm Papa ansäßig war. 
Nun nehmen wir, er sey so recht vom besten Schrot 
Und liebte seine Frau auf Leben und auf Tod, 
Unwandelbar und treu - das Lob wär' bald erwoxben; 
Denn vor dem dritten Jahr wär' sie daran gestorben! - 
Da sitzt sie dann allein und gähnt betrübt und blickt 
Die alte Wanduhr an, die tikt und tikt und tikt,
	        
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