© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 21
ihr bei einer Freundin, Baronin v. Essinger, verleben,
ahnungslos, daß es der letzte war.
Sie starb, ehe mich der Sommer wieder in ihre Heimat
führte. Aus dem Briefwechsel möchte ich nur einiges einem
größeren Leserkreise zugänglich machen, so den ersten Brief
vom März 1904, und einen über Gottfried Keller aus dem
Jahre 1908. M.
Châlet Rischmatt bei Veltheim.
Station Wildegg, den 2. März 1904. .
Verehrte Frau!
Ihr brieflicher Freundes gruß hat die Schwester Conrad Fer-
dinands auf dem Umwege über Kilchberg am Zürichsee, in ihrem
einsamen Häuschen im Aaretal erreicht.
Und er hat sie, die heute wieder rings auf schneebedeckte Halden
und Felder schaut — als ein Fruhlingsgruß erfreut. Im Namen
Ihres Lieblingsdichters, dem Ihr Gruß ja eigentlich gilt — und
der auch mein „liebster" Dichter ist, bringe ich Ihnen seinen und
meinen Dank dafür. Was hat für den Dichter höheren Wert,
und was könnte ihn auch heute noch, da er allem menschlichen
Meinungsstreit und Wettbewerb längst, enthoben ist, von irdischen
Dingen mehr erfreuen, als das Bewußtsein, ich bin verstanden
worden! ? Die Bahn, die ich im Kampfe mit den dunklen und
schweren Mächten im eigenen Wesen und in der Außenwelt ringend,
zu öffnen suchte, hat sich ausgetan — sie ist zu einer leucht enden
Fährte geworden, auf der die Gedanken anderer mir nachfolgen;
ins Reich des unvergänglich Schönen!
Für dies Verständnis unseres Dichters also, verehrte Frau,
darf ich Ihnen wohl in seinem Namen herzlichen Dank sagen,
wenn auf diesem geistigen Gebiete des Nehmens und Gebens über-
haupt von „Dank" geredet werden kann.' Ihr geistlicher Tischnachbar
in Klosters, lassen Sie mich's aufrichtig gestehen, hat Ihnen im
Sommer 1898 doch wohl eine Enttäuschung erspart.
Mein geliebter Bruder hat sich von seiner akuten Nervenkrank-
heit im Jahre 1892 nie bis zu dem Punkte wieder erholt, daß er
geistigen Verkehr nach außen gesucht oder auch nur den entschiede-
nen Wunsch ausgesprochen hätte, alte liebe Beziehungen wieder an-
zuknüpfen. Er hatte viel gelitten und erschien unendlich gut und
sanft, aber müde und gebrochen!
So beschränkte er sich, wenn er redete, auf die kurze, wunderbar
ruhig und kühl ausgesprochene Beantwortung der an ihn gerich-
teten Fragen und auf wenige seltene Gegenfragen. Es war als
ob die Erinnerung ihn schmerzte.
Dazu kam die Aengstlichkeit seiner ihn um und um vor jeder
Berührung mit seiner poetischen Vergangenheit behütenden Gattin,
die den Grund seiner Erkrankung ausschließlich in der Ueber-
anstrengung seines Herzens durch dichterische Arbeit erblickte.
So hatte sogar ich, jedesmal wenn ich den Genesenden zur
Zeit, da er wieder in Kilchberg war, zu sehen verlangte, eine lange
Wartezeit und mancherlei Widerstand zu erleiden, bis ich das liebe
Angesicht endlich wieder sehen durfte.
Mir konnte das freilich genügen, denn wenn er auch wenig
sagte, es sprach aus ihm immer dieselbe stille, rührende Liebe.
Dann aber im Herbste 1898 tritt auf einmal eine Wendung
ein. Wie aus einem Traumzustande erwachte der Dichter ein paar
Wochen vor seinem Tode zu neuem, geistigem Leben. Wie ein
Auferstandener kam er mir vor, als ich ihn kurz vor seinem drei-
undsiebzigsten Geburtstage sehen durfte.
„Nun wird alles wieder gut!" sagten wir uns, als wir uns
zum Abschiede die Hand drückten. Und es wurde gut, wenn auch
ganz anders, als ich gedacht hatte.
An einem schönen Novembertag, nachdem er eben aus seiner
sonnigen Veranda ins Zimmer getreten war, kam leise und unver
hofft die schnelle, die vollkommene Befreiung. Wieder sind seither
sechs Jahre ins Land gegangen. Ich erreiche dieses Frühjahr die
Lebensgrenze meines Bruders — ein für unsere kurzlebende Fa-
milie ausnahmsweise hohes Alter.
In Kilchberg, wo Sie, verehrte Frau, auch Paul von
Deschwendens Bleistiftzeichnung des 12jährigen Conrad Meyer
finden, ist mir eine liebe und liebenswürdige Nichte herangewachsen,
die mich jedesmal, wenn ich sie wiedersehe, mehr an ihren Vater
erinnert.
Wohl ist sie bis heute eine Reisenatur, und ich weiß nicht, ob
Sie, wenn Sie nächsten Sommer Ihrem herzigen Töchterlein seiner
„Hutten" grüne Ufern und die Gestade des silbern glänzenden
Zürchersees zeigen wollen, in Kilchberg Camilla Meyer zu Hause
treffen werden.
Die Reise würde sich unter blauem Himmel in allen Fällen
lohnen, schon um Ihrer lieblichen, jungen Begleiterin, unter der
ich mir das Hauptinteresse Ihrer schönen Gegenwart und das Licht
Ihrer Zukunft denke, für alle Zeiten eine freudige, jugendfrische
Erinnerung zu wahren.
Ob Sie je mein Häuschen betreten, verehrte Frau, das weitab
neben der Eisenbahn Bern--Zürich in einem stillen, verkehrslosen
Seitentale liegt, das weiß ich nicht. Ich darf es Ihnen nicht zu-
muten.
Ich schicke Ihnen heute sein photographisches Abbild, damit
Sie wenigstens sehen, woher Gruß und Dank kommen, mit denen
aus Ihre Zeilen antworten möchte
Ihre ergebene
. . Betsy Meyer.
(Schluß folgt.)
"gilt das nur, soweit der Einfluß des Schulmeisters noch schm-
wirkt); aber wie ist es mit Blücher? Blücher ist bereits 1756
als Vierzehnjähriger in die schwedische Armee eingetreten, 1760
aller ist er von den Bellingschen Husaren gefangen genommen
und in die preußische Armee eingereiht. Er hatte, also 1813
bereits 53 Jahre der preußischen Armee angehört. Wäre es
da nicht geradezu ein Wunder gewesen, wenn Blücher noch
„Rostockisch" und nicht vielmehr sozusagen „Preußisch" (d. h.
Berlinisch) gesprochen hätte? Daß es wirklich
der Fall gewesen, ergibt sich einmal aus seinen
Briefen und zweitens aus der Ueberlieferung. Für
letztere verweise ich auf Fritz Reuters „Läuschen un Riemels",
Bd. 1 Nr. .64, „Bon den ollen Blüchert", wo der Empfang
Blüchers in Teterow köstlich geschildert wird. Hier läßt Reuter den
alten Blücher das gemütliche Berlinisch sprechen, das mit dem
heutgen näselnden „Gardeton" nichts gemein hat. (Beiläufig
will ich bemerken, daß ich schon mit manchem preußischen
Gardeoffizier gesprochen habe, aber mich nicht erinnere, jemals
ein I für G von einem gehört zu haben.) Reuter läßt ihn
sagen: „jeh man weck", „jlobt mir zu!" usw. Dieses sich etwas
gehenlassende Berlinisch paßt vortrefflich zu dem herrlichen
Bilde, das Heinrich v. Treitschke von dem greisen Freiheits-
helden entworfen hat, es ist durchaus kein störender Zug.
Hätte also Gerhart Hauptmann keine andern Sünden in
seinem Festspiel begangen, als daß er Blücher j statt g sprechen
läßt, so hätte er diese mit Fritz Reuter, unserem großen platt-