Full text: Zeitungsausschnitte über Herman Grimm

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 9 
aus 
Bas kleine Journal, Berlin, 
Zu Herman Grimm's siebzigstem Geburtstag. 
Es sind erst wenige Wochen her. daß Herman G r i m m 
als Vertreter des Frenzel-Komitees dem Freund in feiner, graziöser 
Ansprache zu seinem siebzigsten Geburtstag gratulirte. Am heutigen 
8. Januar wird er selbst zu seinem eigenen siebzigsten Geburtstag 
eine Fülle von Glückwünschen empfangen, der Staat und die ge 
lehrte Welt werden ihm Beweise ihrer Anerkennung geben und von 
Nah und Fern werden zahlreiche Zeichen der Liebe und Verehrung 
zu ihm gelangen. Sicherlich gehört Herman Grimm zu der er 
lesenen Schaar der Anserwählten, die sich das Recht erworben 
haben, daß ihrer an einem solchen Tage nicht allein von den 
nächsten Freunden, sondern von der Gesammtheit des lesenden, 
lernenden und künstlerisch empfindenden Volkes gedacht werde. 
Und Herman Grimm hat wahrlich ein Recht auf die tiefe Dank 
barkeit des deutschen Volkes. Wenn jeder Siebzigjährige mit 
Sicherheit darauf rechnen darf, daß auf ibn die ewig schönen 
Worte des Psalmistcn angewandt werden: „Unser Leben währet 
siebenzig Jahre . . . und wenn es köstlich gewesen ist, so ist cs 
Mühe und Arbeit gewesen", so wird heute der tiefe Sinn dieser 
Worte auch auf Herman Grimm vielfach bezogen werden. Abe^ 
nicht allein in dem biblischen Sinne ist die Lebenszeit, die der 
Gefeierte bisher durchschritten hat, köstlich gewesen. Eine besondere 
Huld deS Schicksals war ihm von Anfang an beschieden, und 
wenn seirt Leben auch Mühe und Arbeit war, so hat er doch auch 
den Erfolg der Arbeit und der Mühe Preis erfahren. 
Gab es jemals in Deutschland wahrhaft volksthümliche Ge 
lehrte, so sind es sicherlich die Brüder Grimm gewesen. Ihr 
Name bedeutet auch für den einfachen Mann mehr als ein bloßer 
Schalls und zu ihrem Denkmal in Hanau haben zahlreiche kleine 
^fute in herzlicher Verehrung beigesteuert. Obwohl die Grimms 
Meister der Sprache waren und ihren tiefsten Geheimnissen und 
Räthseln nachspürten, so suchten sie doch ihren Stolz darin, in 
einer Sprache zu reden, die auf jeglichen Tand und Flitter, auf 
bunte Kostümirung und glitzernden Schmuck ver 
zichtete und sich der ungekünstelten, klaren und 
anschaulichen Weise des Volkes näherte. Dies war der große 
Segen, der Herman Grimm mitgegeben wurde, der Segen, der 
von guten Ahnen auf die Nachkommen hcrabströmt. Wilhelm 
Grimm war sein Vater, Jacob sein Oheim: im Bewußtsein 
der Nachwelt wird Herman Grimm in engster Gemeinschaft mit 
Beiden fortleben; war doch Jacob, der unvermählt und innig 
befreundet mit Wilhelm zusammenlebte, auch dessen Kindern ein 
treuer Erzieher, Berather und Vater. Durch seine Verniählung 
kam Hermann Grimm in nächste verwandtschaftliche Beziehung zu 
einem Kreis, dessen Namen in der Geschichte der Romantik zu den 
führenden gehören: seine Gattin wurde Gisela v. A r n i m, die 
Tochter Achim v. Arnim's und Bettina'S, der Freundin Gocthe'S. 
Der Tod Gisela'L, mit der er in dreißigjähriger glücklichster Ehe zu 
sammenlebte, war einer der wenigen düsteren Schatten, die auf 
das Leben Grimm's fielen und Gocthe'S stolze und schmerzensreiche 
Verse bekräftigen: 
Alles geben die Götter, die unendlichen, 
Ihren Lieblingen ganz. 
Alle Freuden, die unendlichen» 
Alle Schmerlen, die unendlichen, ganz. 
Die Kreise, in denen Herman Grimm aufwuchs mib in 
denen sein ferneres Leben sich fortbewegte, wirkten bestimmend auf 
ihn ein; in nächster freundschaftlicher und literarischer Beziehung 
zum Vater Zeus in.Weiniar, suchten sie doch selbst als Kinder 
einer neuen Zeit neuen Idealen nachzugehen, während schließlich 
Herman Grimm im volle» Besitz dieses gewaltigen Schatzes von 
Eindrücken, Erinnerungen und geistigen Besitzthümern wiederum 
einen treuen Weg einschlug und weit cntlegrncn neuen Zielen 
1849 beendete; dann aber ging er nach Italien und gab sich uun 
ganz dem Studium der Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte 
^?»,^och vergingen zwanzig Jahre, bis er in Berlin seine akademische 
4.hatlgkelt begann; rasch aber war jetzt der Fortschritt: denn schon 
nach dreijähriger Thätigkeit als Privatdozent wurde er 1873 
ordentlicher Professor. In den Jahren vor 1870 hat cr 
lenes gewaltige ArbcitSpcusnm erledigt, welches ihn befähigte, von 
der gründlichsten Kenntniß der Einzelheiten ausgehend, mit klarem 
Buck die Gesammtheit der Erscheinungen zu umfassen. Er hatte 
alS Schriftsteller schon eitlen Namen von bestem Klang, 
als er seine Lehrthätigkcit antrat. Es waren bereits seine feinen 
Novellen und der großangelegte Roman „Unüberwindliche Mächte 
erschienen und die Geschichte des Demetriu« hatte ihn gleichfalls 
zu einer dramatischen Dichtung begeistert. Vor Allem aber ist cS 
das „Leben Michclangclo's" (1860—63). ein knltnrhistorischcs Werk, 
das die ganze Kmistgeschlchte der Zeit Michelangelo'S umfaßt, aber 
dlesen., selbst als Kioßten dieser Zeit betrachtet, der ihr den Stempel 
aufdruckt Auch »wer Bande feiner Essays hatte er bereits in die 
Welt gesendet und bannt eure Form der wissenschaftlichen und 
ästhetischen Abhandlung zu Pflege begonnen, die er später in zahl 
reichen Arbeiten zur Bollkommeuhelt führen sollte P
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.