© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 9
wahAückseligkcit haben die Römer im Satze ausgedrückt: Homo
U» a me atienum puto“ und unser Lieblingsdichter hat denselben Ge-
ieren Morten ausgesprochen:
?,,vor dem Tod erschrickst Du? Du wünschest unsterblich zu leben?
Leb' im Ganzen! Menu Dn lange dahin bist, es bleibt."
Beneidenswerth in der That ist, wer es versteht, an allen Ereignissen ruhig theil-
znnehmen; er vergißt viele Sorgen und Leiden und lebt ein verklärtes Leben. Darum,
Ihr theuersten Greise und Frauen, laßt mich Luch zurufen: ,,Dum vivimus vivarnus !‘‘
Das Geheimniß ist, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen, das Berz und die Seele in
Ruhe und Zufriedenheit zu fassen. So viel kann der Mensch, wenn er will und viel Mahr-
heit liegt in unserem Sprichworte: ,,Dcs Menschen Mille ist sein ksimmelreich."
Aufleben in den Freuden der Jugend, die Enkel aufwachsen zu sehen und noch ein
mal des Lebens junge Bahn mit ihnen zu durchwandern, sollte eine große Freude der
vorgerückten Jahre sein. Mit Frieden, ohne Leidenschaften, sieht dann der Greis zum
zweitenmale die Vergangenheit, nur klarer und schöner. Fortgesetzte Thätigkeit wird viel
zum Glücke der alten Tage beitragen, so zwar, daß man wohl ein langes Leben, aber
kein langes Alter zu erleben hat. ,,Labora si vivere cupis, laboriosus pmiquam inorosus
csi,“ ,,Arbeit macht das Leben süß", sind Mahrwörter. Lektüre, Spiele, Ausflüge zu
Magen und zu Fuß, Blumenpflege, Pflege der Thiere, besonders der Singvögel, und bei
Frauen Bandarbeiten jeder Art, Theilnahme an Unterhaltungen, wie die heutige, musika
lische Abende, Aufzeichnungen in Tagebüchern, Briefwechsel mit Freunden, das Alles
gehört hierher. Ferner wäre zu erwähnen die Freude der Reflexion über die großen
Fragen des Lebens: Millensfreiheit, Unsterblichkeit der Seele und das Wesen Gottes.
Die Lust am irdischen Leben, besonders unter so angenehmen verhältniffen, wie sie im
deutschen Altenheim bestehen, das Vergnügen des jetzigen Augenblickes, das sind reine,
große Freuden.
Znm Glücke manches Menschen wird es beitragen, wenn er in trüben Stunden
nach unten blickt, um sein Loos mit anderen zu vergleichen. Mie wird sich da der Greis
glücklich fühlen im vergleich mit dem Lahmen, dem Krüppel, dem Stummen, dem Tauben,
dem Blinden!
Die reinste Freude unter allen, welches ist die? — Jeder kann sich ihr hingeben, sie
hat keine Grenzen, denn sic dauert so lange das Berz schlägt, sie wächst durch Uebung,
sie beglückt und ist beglückend, sie ist ewig willkommen, sie trägt im Busen die Seligkeit.
Es ist die Freude der Liebe. Jeder Mensch kann lieb sein in seinem Mesen und mindere
lieben. Diese Liebe zeigt sich in Gestalten, die ewig wechseln: Sanftmuth, Geduld iin
Leiden, kfingebung für Andere, Selbstaufopferung, Entsagung und tausend andere Formen
nimmt sie an, und bedeutet Ausübung der gottgefälligsten Religion, der Religion, die alle
anderen in sich schließt; es ist so zu sagen die Reifung zur Ewigkeit! Die Jugend ist zu
stürmisch, aber das Alter hat hier große Vorrechte, denn, „apmsima szint seneclulis exer-
rilationes virtulumhaben schon die Meisen des Alterthums gedacht. Die Zukunft wird
dem Alter noch mehr Freuden bringen, wenn der Staat höher steht, wenn wir einsehen
gelernt haben, daß wir alles unseren vorfahren verdanken und daß wir ihnen zur Ehr
furcht und Dankbarkeit verpflichtet sind. Millionen giebt der Staat für die Erziehung aus,
wenig thut er fürs Alter. Der Grundbau wird geschützt, die Zinnen bleiben dem Mind
und Sturm und Metter ausgesetzt. Nehmen wir unseren eigenen Staat. Im Jahre t«90
wurden etwa 462,ooo Stimmen abgegeben, d. h. es sind so viele Männer da. Gesetzt,
jeder wollte nur % Eent per Tag zum wähle des Alters opfern, so hätten wir $too,ooo,
viel mehr als genug. Menu von den dentschgeborenen 65,000 Seelen nur das kleinste
Gpfer gebracht würde, wie stünde es dann mit unseren deutschen Greisen und alten
Frauen? Anstatt unter allerlei leeren Vorwänden gegen das edle Altenheim zu murren,
lege Jeder einen Pfennig auf den Altar der heiligen Sache und nach Jahren wird ein
Besserer hier stehen und mehr über die Freuden des Alters sagen können. GH, Menschen,
werdet weich und laßt Erbarmen und Mildthätigkeit in Euer perz einziehen, füget Euren
Namen der goldenen Ehrenliste bei, auf der heute nicht genug Namen verzeichnet sind.
Engelshände sind hier thätig gewesen, den lieben Alten eine wohnliche, angenehme Bei-
math zu gründen, nicht ein Armenhaus. Jetzt kommt es auf Freigebigkeit der Guten
an, die Thore dieser herrlichen Beimstätte zugänglicher zu machen.
Jedes Testament, hier im Staate von Deutschen hinterlassen, sollte eine Summe,
wenn auch noch so klein, dem Altenheim aussetzen. Menu diese goldene Zeit gekommen
ist, dann ist auf Niemanden mehr anzuwenden: ,,Mer das Alter nicht ehrt, der ist des
Alters nicht werth." — GH, es giebt Mittel und Mege, sich die irdische Unsterblichkeit zu
verdienen und sie führt zur himmlischen I