© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 7
1 1 '
Jahrgang 1907.
München, Donnerstag, 28. März.
Kummer 73,
Den» an» Verlaß Bet Bäuerischen Deuckere» anD Veelaqounltalt.
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Verantwortlicher Herausgeber' Dr. Julius Psierjen in München-Solln.
Inhalt:
Ludwig Emil Grimm als Schüler der Münchener Akademie
(fett 1809). Von Oberbibliotherar H. Brunner
(Kassel).
Sonnenflecke und Erdmagnetismus. (Schluß.) Von Pro-
feffor K. Oertel (München).
Bücher und Zeitschriften.
Franz Dftilberg: Frühholländer in Italien. — Henri
Murger: Die Boheme.
Allgemeine Rundschau.
UeWstcht über die seismischen Registrieruilgen an den Erd-
benstationen Mitteleuropas.
inere Mitteilungen. — Hochschulnachrichten.
Ludwig Cmil 6rimm als Sd)üler ber lüundjener
Rkabemie (seit 1S09).
(Aus den Lebenserimrerungen des Künstlers.)
Mitgeteilt von H. Brunner.
Aus der Zeit seines ersten Aufenthaltes in München
(1809—1813) hat L u d w i g E tn i l G r i m m , der jüngste
Bruder von Jakob und Wilhelm Grimm, recht interessante
Aufzeichnungen hinterlassen. Der junge angehende Maler
schildert darin seinen Aufenthalt auf der Akademie;
seine Mitteilungen, frisch und unbefangen, und ohne jeg
liches Vorurteil hingeschrieben, sind für die damaligen Zu
stünde nicht nur, sondern auch für die Jugendgeschichte zahl
reicher Künstler, die seine Freunde und Mitschüler waren,
von nicht geringem Wert. Was aber die Aufzeichnungen
besonders wertvoll macht, das sind des jungen Künstlers
Beziehungen zur Familie S a v i g n y und zu Clemens und
Bettina B r e n t a n o. die in jener Zeit in Landshut leb-
tert. Reizender und liebenswürdiger ist die Bettina wohl
nirgends gezeichnet worden, als es von Ludwig Grimm in
feiner schlichten und ungekünstelten Weise geschehen ist;
inan bedauert fast, als man Abschied von ihr nehmen mutz.
Friedrich Karl v. Savigny, der berühmte Jurist, war
von 1808 dis 1810 Professor an der Universität zu Lands
hut. Die älteren Brüder Grimm waren ihm aus ihrer
Marburger Studienzeit her eng befreundet und zugetan,
und so hatte er sich auch des jüngsten Bruders, als dieser
zu seiner weiteren Ausbildung von Kassel nach München
übersiedelte, angenommen. In letzterer Stadt bildete sich
Ludwig Emil unter dem alten Hetz insbesondere zu einem
tüchtigen Kupferstecher aus, und feine Radierungen sind
heute zum Beispiel noch geschützt und gesucht. Nachdem er
sich seit 1818 in seiner Vaterstadt Kassel niedergelaffen
hatte, wurde er hier im Jahre 1832 als Professor an der
Akademie angestellt und starb 1863. Zweifellos war die
Münchener Zeit, die er als Jüngling von 19 bis 23 Jahren
durchlebte, die glücklichste seines Lebens. Harmlos wie das
Gemüt sind auch die Erinnerungen des jungen Mannes, in
denen wir manchem bekannten und später berühmten
Namen begegnen. Die Charakteristik, die er von seinen
Bekannten und Freunden gibt, ist immer treffend und
scharf, doch dabei ohne Schärfe. Lassen wir ihn jetzt selbst
erzählen!
*
Im Frühjahr 1-809 kam ich nach München auf die
Akademie. Savignv hatte mich dem Direktor o. Langer und
Professor Heß empfohlen. Letzterer hatte mich sehr lieb, und ich
wurde wie zur Familie gehörend angesehen. Er hatte drei Söhne
und zwei Töchter.
Doch war mein Logis weit vom Heß entfernt. Ich hatte ein
kleines reinliches Stübchen bei einer alten Hofmalerswitwe.' sie
hieß Weng. Die Frau mar erzkatholisch: in meinem Stübchen
waren an der Wand zwei kleine Weihkessel. aus meinem Bett lag
ein Kruzifix und eins hing an der Wand. Mittags bei Tisch
(ich hatte den Tisch bei der altert Frau) dauerte es lang, bis es
Essen kam, du wurde erst gebetet, dann die gehörigen Kreuze
geschlagen, dann kam die Nudelsuppe, dann Leberkuödel mit
L auerkraut und zuletzt Gänsebraten. Ich wurde dann gehörig
examinierte ob ich auch alle Tage eine Messe höre, wann ich zuletzt
gebeichtet habe usw. Noch eine alte Base speiste mit. Es wurde
mir doch mit der Zeit bei den altert Betschwestern unheimlich.
Dazu kam noch, daß meine Hausfrau verlangte, ich solle alle
Morgen (es war Winter) mit ihr uni 5 Uhr in die Messe gehen;
da habe ich der Frau gesagt, ich habe mehr zu tun, als immer in
die Messe zu laufen. Aufs viele Beten käme es gar nicht an.
Ich fei nach München gekommen, um auf der Akademie zu
ftudiren, aber nicht um ein Pfaff zu werden.
Die fromme Frau wollte mir auf den Kopf fliegen, wie ich
ihr das sagte. Ich zog nun aus. Ach, hätte die gute fromme
Frau gewußt, daß ich reformirt, also nach ihren Begriffen ein
Erz-Ketzer sei, wie unglücklich würde sie gewesen sein!
Ich hatte mir die Bilder von der lieben seeligen Mutter und
der Lotte in die Stube') gehängt und war so beit ganzen Abend
allein, schrieb nach Cassel oder an die Bettina oder Savignys
oder Clemens Brentano nach Landshut. Meine Wohnung war
im Tal Petri, das Haus gehörte einein Bierbrauer, unb meine
Aussicht ging in den Hof, wo ringsum Bierbrauereien waren, die
dampften, und wo es immer nach Bier roch. Es wurde da Tag
und Nacht gearbeitet. — Unter meinem Fenster war ein großes
Freskogemälde, welches die halbe Wand einnahm; nicht weit von
meiner Wohnung war der Obst- und Fischmarkt. Mein jetziges
Logis war ganz nahe bei P. Heß am Max-Tor unter den Bögen,
aber hinten hinaus. Die Aussicht war wieder in einen Hof. wo
lirtks ineyrere Nagelschmiedswerkstätten waren, rechts das alte
Modellhaus. Im Hör war ein Brunnen, wo die Leute den Tag
über wuschen und Master holten. Links sah ich auf die Congre-
gationskirche und rechts war das Palais Max. In meinem
*) Hier redet er. noch von der ersten Wohnung.