© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z6
gewesen. Im I. 1818 kam er zum Entschlüsse, eine
Madonna zu malen, um sich nach Vieser Richtung hin
zu legitimiren.
Das beste Stück Malerei, welches von Grimm ge
schaffen worden ist, ist sein eignes, in früher Zeit in
München entstandenes Porträt. Heß gehörte noch der
alten Schule an: man sieht, wie die guten Traditionen
des 18. Jahrh, hier noch eingewirkt haben. Die Farbe
ist kräftig, das Helldunkel durchsichtig, das Ganze würde
alö ein vortreffliches Porträt überall auffallen, ohne daß
man den Meister weiter zu kennen brauchte. Leider jedoch
blieb Grimm nicht auf diesem Wege. Damals wurden
die Gemälde der Boisseree'schen Sammlung mächtig in
Deutschland. Man sehte jetzt fromme, reine Farben klar
aneinander, man gab den so kostbaren Besitz der alten,
für diese Manier allerdings unbrauchbaren Recepte auf.
Offenbar gewannen diese Anschauungen Einfluß auf
Grimm, der für sich allein arbeitend und ohne die Kritik
eines großen Publicums als Corrigenö um sich her, nur
auf sich beschränkt, sicherlich den besten Theil seiner
malerischen Anlagen, soweit von Farbe die Rede ist,
dieser Anschauung zum Opfer gebracht hat. Eins der
1818 von ihm in Frankfurt gemalten Frauenporträts in
Lebensgröße sieht aus, als habe er einen jener flachen
bleichen Köpfe des 16. Jahrh, zum Muster genommen,
weiche man früher im Allgemeinen Holbein zuzulchreiben
pflegte. Porträts in Wasserfarbe auS derselben Zeit be
stätigen noch auffallender die neue Richtung. Eine ge
wisse fromme, romantisch-stille Einfalt ward für die
Maler nun als Ideal aufgestellt, die zu der lebendigen
Beweglichkeit Grimm's gar nicht paßte. In der Folge
hat er sich von diesem Wesen wieder befreit, in gewisser
Weise aber sich doch niemals ganz von ihm losmachen
können. Dies ist der Grund, weshalb seine nun begin
nenden Oelgemälde, was die Technik anlangt, nicht auf
der Höhe stehen, welche Grimm, wäre er unberührt ge
blieben vom Einflüsse der romantischen Schule, hier
ebenso gut zu erreichen im Stande gewesen wäre als
nach andern Richtungen. Die Porträtmalerei führte ihn
zwar bald wieder auf die Natur zurück, aber für den
Wiedergewinn der alten Technik fehlte ihm nicht nur die
Gelegenheit, sondern auch die Anregung. Denn wir
brauchen uns nur umzusehen, wie in Deutschland da
mals überhaupt gemalt wurde, um die Ocde zu ver
stehen, in welche ein mit malerischen Anlagen ausge
rüsteter Künstler damals versetzt war.
Während Grimm bis jetzt nur nach Süden gegan
gen war, wendet er sich 1820 nach Westfalen, wo er
die Familie von Harthausen auf ihren dortigen Gütern
besuchte. Das meiste Landschaftliche unter seinen Nadi
rungen vom Jahre 1820 und 1821 scheint in die dortige
Gegend zu gehören. Ebenso ein paar Darstellungen von
Mönchen, die sehr sorgfältig radirt sind. Sein Haupt
augenmerk ist in dieser Zeit jedoch auf eine historische
Composttion gerichtet.
Hierfür sind aus jenen Jahren eine ganze Reihe
von Compositionen vorhanden, von der flüchtigen Feder-
skizze an dis zur ausgeführten Zeichnung die dem Car-
— GRIMM (LUDWIG EMIL)
ton vorhergeht. Hier zeigt sich recht, wie ein Künstler
befangen ist in dem, was das Schicksal ihm auferlegt.
Von München her lagen ihm Madonnen und eine ge
wisse Art allegorischer Compositionen in der Seele, die
sich deutlich auf Heß und seine Schule zurückführen lassen:
in dieser Richtung sind eine Anzahl seiner Skizzen ge
halten. Sein Verhältniß zum hessischen Fürstenhause,
von welchem allen Brüdern, was die älteren Zeiten
anlangt, viel Gütiges erwiesen worden war, lenkte ihn
auf die Geschichte der Heiligen Elisabeth, ein Stoff für
den Grimm stets eine besondere Vorliebe bewahrt hat.
Eine große Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1821 zeigt
Elisabeth, wie sie, von Engeln bedient, welche die Brode
tragen, den Dürftigen ihre Wohlthaten erweist. Die
Anordnung hat etwas Symmetrisches, ohne steif zu sein,
Einzelnes von den Figuren ist sehr lieblich, besonders
gelungen der Theil der Composition, welcher die die Brode
empfangenden Armen zur Anschauung bringt. Grimm's
eigentliches Feld wäre historisches Genre gewesen. In
dieser Richtung entstand damals, ausgehend von einer
Skizze nach der Natur: die alte Lore von Ungedanken,
eine Zigeunerin die jungen hessischen Mädchen wahr
sagt, das Ganze in märchenhafter Stimmung gehalten.
Schließlich wählte Grimm eine Madonna zur Ausfüh
rung, welche in München, Berlin, Hamburg und an
deren Orten ausgestellt ihm manches Lob eintrug. Aus
gehend von diesem Gemälde hat der Canouicus B. Speth
in München damals (Kunstblatt. Februar 1826) eine gut
geschriebene ausführliche Besprechung seiner sämmtlichen
Leistungen gegeben.
Als Gegengewicht zu diesen Arbeiten, für welche
die sichtbare Aufforderung doch immer mehr aus den
persönlichen Verhältnissen als auS dem Verlangen des
Publicums hervorging, begann Grimm um diese Zeit
die Porträts göttinger Professoren, zu denen Jacob'ö
enge Verbindung mit Göttingen in den Jahren bereits,
alö an einen Ruf dahin noch nicht gedacht wurde, den
Anstoß gab. Im I. 1823 wurde die erste, 1826 die
zweite Serie radirt. Grimm hat diese Köpfe meisterhaft
wiedergegeben. Mit so feinem Blick hat er das Cha
rakteristische herausgefunden und wiederzugeben verstan
den, daß sie als Typen ihrer Art zu betrachten sind. In
zukünftigen Zeiten, wenn von jenen blühenden Zeiten der
Georgia Augusta die Rede sein wird, wo der „deutsche
Professor" in feinem glänzendsten Nimbus Deutschlands
öffentliches Leben fast allein zu repräsentiren hatte, wird
man die Köpfe Grimm's als historisches Material be
trachten. Blumenbach's Porträt, zweimal auf zwei ver
schiedenen Blättern dargestellt, ist die brillanteste Lei
stung darunter. Goethe bespricht diese Publication in
Kunst und Alterthum mit Anerkennung.
Diese Arbeit und wahrscheinlich die Bekanntschaft
mit Harthausens zog andere Aufträge im Hanöverschen
nach sich. Eine ganz vorzügliche Arbeit ist das Porträt
des Arztes Dr. Stieglitz in Hanover. In Celle malte
und raoirte er den Freiherrn von Dörnberg. Im 1.1827
radirte er Heinrich Heine, der auf der Durchreise in
Caflel bei ihm war, 1829 Paganini. Eine ziemliche
GRIMM (LUDWIG EMIL) — 311 — GRIMM (LUDWIG EMIL)
Anzahl von Porträts in Oel entstand in denselben Jahren.
Grimm stand jetzt in dem Alter, in dem das Leben hätte
Anforderungen an ihn stellen müssen. Angewiesen jedoch
nur auf sich selbst und, nachdem ihm (1833) eine An
stellung an der Akademie als Professor und Lehrer der
historischen Malclasse zu Theil geworden, der Nothwen
digkeit enthoben, für seinen Unterhalt arbeiten zu müssen,
begann jetzt bereits eine gewisse Ruhe bei ihm, aus der
ihn kein bedeutender Anstoß in der Folge herausnöthigte.
Jacob und Wilhelm waren (1829) nach Göttingen gegan
gen, die gewaltsame Stille ver dreißiger Jahre in Deutsch
land hielt jeden öffentlichen Aufschwung zu Boden: nichts
natürlicher als daß Grimm von nun an still weiter
arbeitend in der gewohnten Weise die Anzahl seiner Werke
zu vermehren fortfuhr, ohne in ihnen das jedoch von
nun an zu übertreffen, was ihm bis dahin gelungen
war. Eine seiner besten Platten aus späterer Zeit ist
das Porträt Clemens Brentano's, den er zum ersten Mal
nun so spät (1847) zeichnete und radirte, während er
die andern Geschwister Brentano in viel früheren Jahrelt
radirt oder in Oel gemalt hatte. Von Grimm's histo
rischen Gemälden, die sich alle durch Treue deS Stu
diums und durch einen eigenthümlich romantischen Hauch,
der über ihnen liegt, auszeichnen, sich sonst aber keiner
der herrschenden Richtungen anschließen, sind die bedeu
tendsten die Mohrentaufe und der Tod der Heiligen
Elisabeth. Letzteres Werk erfuhr, wo es auf Ausstel
lungen erschien, die günstigste Beurtheilung. Am besten
wurden jedoch zwei Gemälde Grimm's aufgenommen,
welche, hessische Bauernmädchen darstellend, 1833 ihren
Weg durch die Ausstellungen machten und in Frankfurt
a. M. angekauft worden sind. Einen Katalog seiner
Gemälde, Radirungen und Stiche, denn er hat auch
eine Anzahl Platten mit der kalten Nadel ausgeführt,
zu liefern ist hier der Ort nicht.
Nur eine einzige Arbeit letzterer Art sei hier nock-
erwähnt, das Porträt der Kurfürstin Auguste nach einem
Gemälde von Bury. Die Kurfürstin, eine preußische
Prinzessin (Schwester Friedrich Wilhelm's III.), die selbst
Künstlerin gewesen war, nahm an Grimm's Arbeiten
stets großes Interesse. Eine Zeichnung auö dem 1.1822
JPigt sie, ihre beiden Töchter und, vor ihr kniend mit
Blumen in der Hand, den jetzigen Kurfürsten: offenbar
die Skizze zu einem später nicht ausgeführten Familien
bilde. Den Kurfürsten selber hat Grimm für eine große
figurenreiche Zeichnung porträtirt, aus der der Moment
dargestellt ist wie die Deputation der casseler Bürgerschaft
im I. 1830 die Zustimmung zur Einführung der Ver
fassung erhält.
Grimm war eine frische und erfrischende Natur.
Von frühauf hatte Jedermann ihn gern. Mit Niemand
neckten sich die Kinder lieber, Niemand wußte besser mit
den Leuten umzugeben. Er liebte es, allerlei Volk ab-
zuconterfeien, und konnte Stunden daranwenden, um
einen Zigeuner in Wasserfarben, die er für Studien gern
brauchte, zu malen. Einige seiner Blätter auS späterer
Zeit stellen Zigeuner und Slowakenscenen dar, die aus
der sorgfältigsten Natnrbeobachtung hervorgegangen sind.
Für all das war ihm der Beifall der Seinkgen zu
nächst die liebste Belohnung. Auch nachdem Jacob und
Wilhelm nach Göttingen gegangen, überhaupt das alte
jugendliche Zusammenleben aufgehoben war, hörte dem
verbindenden Gefühle nach das erstere Verhältniß niemals
auf. Als Jacob und Wilhelm vertrieben von Güttingen
1837 in Cassel wieder eine Heimath suchten, wohnten
die drei Brüder und ihre Familien in Ludwig Grimm's
'ause in der Bellevue beisammen, bis die Berufung nach
erlin dem wieder ein Ende machte. Dies war gerade
die Zeit, wo Grimm an seiner Mohrentaufe malte, die
dann auch in Berlin ausgestellt wurde. Sein bester
Freund in späteren Jahren war der Bildhauer Werner
Henschel, dessen Gemüthsart und Kunstrichtung der
seinigen entsprach, und der Jahre lang Abend auf Abend
bei ihm eintrat, bis ihn spät noch das Schicksal nach
Rom führte, wo er sich festhalten ließ. Von da an be
schränkte Grimm sich zumeist auf den Familienkreis. Wie
er einst begonnen, mit noch ungeübter Hand seine
Schwester Lotte zu zeichnen, radirte er nun sein Enkel-
chen auf dem Arme der Tochter. Am liebsten erzählte
und sprach er von den Zeiten, wo er in Müitchen als
junger Schüler frei und das Herz voll poetischer Gedan
ken das bairische Gebirge durchzogen hatte. Das waren
seine mythischen Zeiten, die kein späterer Sonnenschein
überstrahlte.
Von seinen Geschwistern hat ihm bis zuletzt Wil
helm am nächsten gestanden, den er auch öfter als die
andern porträtirt hat. Auf einer vortrefflichen Zeich
nung stellt er ihn 1822 vor seinem Schreibtisch sitzend
dar. Im 1.1829 zeichnete er ihn und Jacob, beide in
einer Landschaft auf einer Gartenbank sitzend, wonach
in Frankfurt eine Lithographie erschien. Im I. 1837
radirte er ihn im göttinger Professorentalar; übrigens
eristiren aus vielen Jahren mehr oder weniger ausge
führte Zeichnungen, die ihn darstellen, auch ein lebens
großes Oelbild aus dem I. 1815. Jacob hat er nie
mals in Oel gemalt. Von diesem ist unter andern eine
begonnene Zeichnung en face vorhanden (1818), die als
Titelkupfer für die Grammatik bestimmt war. In den
fünfziger Jahren radirte er Jacob'S Kopf nach einem ganz
kleinen Gemälde von Urlaub, einem nicht unbekannten
Maler des 18. Jahrh., der den Vater, die Mutter und
andere Verwandte und so auch Jacob, als etwa vier
jähriges Kind in einem Blumenbosquet stehend, in ganzer
Figur (die Tafel aber keinen Fuß hoch) malen mußte.
Sein eignes Porträt hat Grimm 1815 radirt.
Das Beste, was er gearbeitet hat, sind seine un
mittelbar der Natur entnommenen Köpfe von Kindern,
Männern und Frauen aus dem Volke. Das ist echt
deutscher Charakter, der sich in ihnen ausprägt. Und
so erscheint sein Talent gleichsam als die in malerischer
Kraft sich manifcstirende Fähigkeit, welche Jacob und
Wilhelm nach anderer Seite hin besaßen. Daher auch
erklärt sich Grimm's enges Verhältniß zu seinen Brü
dern, mit deren scheinbar so ganz anders gearteter Thätig
keit die seinige dennoch nahe verwandt erscheint.
(Jierman Grimm.)