Full text: Zeitungsausschnitte über Jacob und Wilhelm Grimm

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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z4 
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Kraft und Stärke nicht allein in den natürlichen Verhältnisfin lagen, die 
sich von selbst ergeben? 
Wir sind hinaus über diese architektonischen Versuche. Unsere Ge 
genwart und Zukunft nimmt uns für anderes in Anspruch. Ein Volk 
das einen solchen Krieg führt, das von Tag zu Tag der Kanonendonner, 
der fern von Frankreich herüberhallt, in athemloser Spannung hält, weiß 
und fühlt daß es auf eignen Füßen stehe, und daß die Fragen innerer 
deutscher Politik diejenige Erledigung finden werden welche am meisten 
dem Bedürfniß des Landes entspricht. Denn jedermann ohne Unterschied 
ist sich bewußt daß wir ohne das die Kämpfe der Zukunft, die unsere 
eigene Kraft gegen uns beschwören könnte, nicht bestehen würden. 
Jacob und Wilhelm Grimms persönliche politische Ansichten kom 
men für die Fragen der laufenden Politik nicht mehr in Verwendung. 
Ständen sie heute als kräftige Männer im Leben darin, sie würden die 
Nothwendigkeit empfunden haben über alle möglichen Bedenken hinweg 
für das neugeeinte Deutschland einzustehen, und in ihm den endlich errun 
genen natürlichen Grund erblicken von dem aus mit unablässiger An 
strengung weiter zu arbeiten sei. 
An Gervinus noch ein Wort und hoffentlich hier das letzte. 
Durch den Zeitungsartikel aus der Feder eines Mannes den er nicht 
sehr hoch zu stellen scheint, und auf die bloße Vermuthung hin: dieser 
Mann sei zum Fürsprecher erwählt worden, wendet er sich in einem öffent 
lichen Blatt an die Hinterbliebenen zweier Männer die seine alten Freunde 
waren, um ihnen „Rede zu stehen." Seine alten Freunde selbst sind vor 
langen Jahren — man kann so sagen, da die Zeit heute so schnell läuft — 
gestorben. Warum deren Staub aufrühren, ohne damit zum Heil des Vater 
landes etwas erreichen zu können, denn wer wird heute sich durch Mei 
nungen zum Stillstehen oder zur Umkehr bewege» laffen, zu deren Bekräf 
tigung nur die Schatten der drei Männer zweifelhaft heraufbeschworen 
werden, die allen Anspruch darauf haben dem Kampfe der täglichen Politik 
endlich entrückt zu sein? Und warum deren Hinterbliebene in diesen 
Kampf hineinziehen, die so gern geschwiegen hätten? Was ich gesagt habe, 
ist gesagt worden um eine Pflicht zu erfüllen, der ich mich nicht mehr ent 
ziehen konnte; Gervinus angreifen zu wollen, lag mir fern. Ihm gegen 
über möchte ich immer so dastehen als wenn meine im Vergleich zu den 
seinigen jüngeren Jahre mir zu schweigen erlaubten, selbst da wo die M ei 
nung mich schmerzte, ja sogar verletzte, die er mir gegenüber auöspricht. 
Berlin, 21 Jan. 1871. Herman Grimm. 
Der Krieg. 
w. Mkaucy, 23 Jan. Gestern Mittags traf die sehr unangenehme 
Nachricht hier ein daß ein französisches Streifcorps von 400 Mann, welches 
wahrscheinlich zu derBesatzung derFestungLangres gehört, unsernPosten von 
50 Mann der in dem Dorf Fontenai unweit Toul die Eisenbahnbrücke über 
die Mosel bewacht, in der Morgendämmerung überfallen, theilweisegetödtet, 
auseinander gesprengt oder gefangengenommen habe, und dann vermittelst 
Petarden einen Pfeiler der Brücke in die Luft sprengte. Bevor hinreichende 
Truppen von Nancy aus zur Verfolgung des Feindes abgesandt werden konn 
ten, war dieser schon längst wieder verschwunden. Das ganze Dorf Fontenai 
ist unsererseits als warnendes Beispiel bis auf das letzte Haus niedergebrannt 
worden. Ungefähr 8 Tage wird eS dauern bevor die gesprengte Brücke wieder 
so weit hergestellt sein wird um von Eisenbahnzügen benutzt zu werden. Der 
Verkehr auf der wichtigen Nancy-Pariser-Linie erleidet so lange zwar keine 
Unterbrechung, doch eine Verzögerung, da alle Personen und Sachen jetzt 
l !‘i Meile auf Landwegen gefahren werden müssen, um jenseits der Mosel 
wieder in einen andern Eisenbahnzug überladenzu werden, was besonders 
bei Lebensmitteln und Munition stets viele Schwierigkeiten macht. Von 
Deutschland ist jetzt auch die Metz-, Thionville-M6ziöres- Eisenbahnlinie 
bis dicht vor Paris eröffnet worden. 
Born Okerrhetn, 19 Jan , wird der „Schles. Ztg." geschrieben: 
^,Jn Verbindung mit der siegreichen Abschlagung der Angrrffe des Feindes 
«ruf der ganzen Lime bei Belfort am 17 wird heute der Abzug des Feindes 
f -meldet. Es muß heiß hergegangen sein an diesem dritten Tage. Der 
eind hatte bei seiner numerischen Ueberlegenheil den Vortheil immer 
neue Trujipen zum Angriff führen zu können, und auch die Soldaten be 
schlich das Gefühl ob möglich fein werde den immer erneuten Versuchen 
auf die Dauer zu widerstehen. Aber von unseren Braven wußte auch jever 
einzelne was es galt. Verwundete des ersten Tags erzählen daß jeder 
dem andern in der Reihe zugerufen habe: „Durch dürfen sie nicht! nicht 
um die Welt!" Und sie mwen nicht durch. An der Einsicht der deutschen 
Heerführung, an der Tapferkeit deutscher Krieger, die wie eine Mauer 
standen, prallte der französische Elan ab. Verluste mag es schmerzliche ge 
kostet haberr. Aber dafür istBourd^ki schon in diesem Augenblick strategisch 
halb verloren. Wie wir gestern Abends noch vernommen habe»:, soll 
General v. Fransezky mit einem Theil seines Armee-Corps vorgestern in 
Epinal eingetroffen sein, und Theile des Za^olo'schen CorpS sollen in Autur: 
stehen. Somit stünden deutsche Truppen im Rücken Borirhgkr's, und 
eS dürfte dessen Hauptaufgabe geworden sein sich, wenn möglich, den Rück 
zug zu sichern. 
General v. Werder hat folgenden Armeebefehl erlassen, den die 
„Franks. Presse" mittheilt: „Das 14. Armeecorps und die um Belfort 
Vereinigten Truppen haben durch ihre außerordentlichen Leistungen in Er 
tragung von Strapazen größter nur denkbarster Art sowie durch ihre- 
glänzende Tapferkeit dem Vaterlande einen Dienst geleistet den die Ge 
schichte gewiß zu den denkwürdigsten Ereignissen des ruhmreichen Feld 
zuges zählen wird. Es ist uns gelungen den sehr überlegenen Feind, der 
Belfort entsetzen und in Deutschland einfallen wollte, aufzuhalten und 
sodann siegreich abzuweisen. Mögen die Truppen, auf deren Leistungen 
die Augen Deutschlands gerichtet waren, zuvörderst in diesem Erfolg einen 
Lohn für ihre Mühe erblicken. Der Dank Sr. Maj. wurde mir bereits 
allergnädigst übermittelt. Meine aufrichtigsten Glückwünsche für diese 
ruhmreichen Tage vom 14—18 Jan. füge ich hinzu. gez. v. Werder. 
Bordeaux, 16 Jan. Der „Constitutionnel" berichtet: „Bei Bor 
deaux finden bedeutende Truvpenconcentrationen statt. Der „Courrier de 
Marseille" vom 18 meldet über die Antwort Aurelles' auf die von Gam- 
betta angebotene Wiederannahme eines Commando's: der General habe 
erklärt daß er, ehe er seine Zustimmung gebe, wissen müsse welches Com- 
mando ihm angeboten werde. 
♦/♦ Bordeaux, 18 Jan. Zu denjenigen ehrenhaften Männern, 
welche Widerspruch gegen den Dictator zu erheben wagen, gehört der Ab 
geordnete der Haute-Loire, Guyot Montpayroux, Mitglied der Linken: 
seine Absicht geht eigentlich dahin die Vertheidigungs-Regiernng wegen 
unberechtigten und sündfluthlichen Gebahrens mit dem Naß der Staats- 
gelder vor den höchsten Gerichtshof zu ziehen. Aber freilich — was in 
England gienge, zu welchem Staatsleben wir Bordelaisen Zuneigung 
haben, ja erfolgreich wäre, hat in Frankreich erstaunlich wenig Aussicht: 
denn hier wird jedeFrage politisch, und die Behandlung... wie es der Vor 
theil eines jeden erheischt. Immerhin aber ist GuYotS Haltung muthvoll; 
denn wie lange noch mag es dauern bis ein rother Clubb ihn als „Vater 
landsfeind" dem Tode weihen wird! Die gleichen Klagen über die StaatS- 
wirthschaft werden uns aus Havre gemeldet, besonders über das Verfahren 
der Commission des Arrnements welche zur Anschaffung der Waffen privi- 
legirt ist! In dieser uns nahe stehenden Hafenstadt sind die Gardes natio- 
nales nicht Rothe oder — Verdienstlose welche durch Einschreibung in die 
Listen sich den Unterhalt verschaffen, sondern 3000 Mann arbeitsamer 
rechtlicher Bürger welche die erste Bedingung jeder Staatsordnung, Sicher 
heit, und Vollzug des Gesetzes unterstützen. Vom Maire abwärts ist und 
war man in Havre orleanistisch, weil von den jüngeren Bourbon? consti- 
tutionelle Freiheit und allmähliche Erfüllung unserer nicht hochgespann 
ten Forderungen in Bezug auf redliche Staatsverwaltung und Fern- 
haltung mexicanischer Abenteurer gehofft werden. In Toulouse herrscht 
die rothe Farbe und der Prüftet beugt sich davor; es ist aber dieß im 
schönen Frankreich bei den hohen Beamten Styl, und sie haben dafür den 
Kunstausdruck „sich encanailliren!" Wo in einer Stadt nicht die Bataillone 
der Cadres liegen, haben die rothen Clubs die Oberhand welche schon 
Ende Septembers von Paris aus Abtheilungen Bewaffneter, EkquadeS 
von ihnen geheißen, dahin abordneten; sie sind die Stütze und die Treiber 
vom Gambetta, die andere Wurzel der Kraft des Dictators, nämlich 
der Nationalstolz und der Haß gegen die Fremden wiegt lange nicht 
so schwer als man bei den Auswärtigen, z. V. in England glaubt; 
die Armee der Loire sah ich und kenne dieselbe durch Officiere, bei ihr 
schlagen sich die Soldaten, die Mobilen erregen nur Zahlenlärm, einzelne 
Gebildete unter den Jünglingen fühlen Begeisterung und werden Frei 
willige; sonst pflegt man andere kämpfen zu sehen. 
Neueste Posten. 
T Müuchen, 26 Jan. In einer gemeinschaftlichen, nicht öffent 
lichen Sitzung unserer beiden Gemeindecollegien sind die GratulationS- 
adreffen an Se. Maj. unsern König und Se.Maj. den Kaiser von Deutsch, 
land so eben berathen und angenommen worden. Der Wortlaut derselben 
wird jedoch erst nach der Überreichung veröffentlicht werden. Ein heute 
Vormittags hier eingetroffenes officielleS Telegramm meldet daß Jules 
Favre gestern in Versailles behufs Capitulationsverhandlungen einge 
troffen ist, so daß hierdurch das eben eingetroffene Telegramm auS der 
„Times" seine Bestätigung findet. 
Berlin, 23. Jan. Der Kaiser Wilhelm hat am 18 d. folgenden 
Armeebefehl erlaffen: «Mit dem heutigen für Mich und Mein HauS 
denkwürdigen Tage nehme Ich im Einverständniß mit allen deutschen 
Fürsten und unter Zustimmung aller deutschen Völker neben der von 
Mir durch Gottes Gnade ererbten Stellung des Königs von Preußen 
auch die eines Deutschen Kaisers an. Eure Tapferkeit und Ausdauer in 
diesem Kriege, für welche Ich euch wiederholt Meine vollste Anerkennung 
aussprach, hat das Werk der innern Einigung Deutschlands beschleunigt, 
j ein Erfolg, den ihr mit Einsetzung eures Bluter und eures Lebens er-
	        

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