I. L. K. Grimm.
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Buch und dessen hinreißende Vorrede mich gespannt gemacht
hatte. Im Sommer 1864 verließ Savigny die Universität,
UM eine literarische Reise nach Paris anzutreten.
Je älter man wird, desto leichter in Versuchung geräth
man, die Zeit seiner Jugend in Vergleich mit dem später Er
lebten zu erheben und für musterhafter zu halten. Aus den
Jünglingsjahren sind wir uns der ersten Kraft und des rein
sten Willens am sichersten bewußt, und eH kommt uns da auch
von andern überall entgegen. Ich möchte nun auch den da
mals unter den Marburger Studierenden waltenden Geist rüh
men; es war im ganzen ein frischer, unbefangener; Wachler's
freimüthige Vorlesungen über Geschichte und Literargeschichte
machten auf die Mehrzahl lebendigen Eindruck, und besonders
erfreute ein Publikum, das er im großen öffentlichen Hörsaal
wöchentlich las, sich eines ungetheilten Beifalls. Die Ober
gewalt des Staats hat seitdem merklich mehr in die Aussicht
der Schulen und Universitäten eingegriffen. Sie will sich ih
rer Angestellten fast allzu ängstlich versichern und wähnt, dies
durch eine Menge von zwängenden Prüfungen zu erreichen.
Mir scheint es, als ob man von der Strenge solcher Ansicht
in Zukunft wieder nachlassen werde. Zu geschweigen, daß sie
der Freiheit des sich aufschwingenden Menschen die Flügel
stutzt und einem gewissen, für die übrige Zeit des Lebens wohl
thätigen, harmlosen Sich gehen lassen können, das hernach
doch nicht wieder kehrt, Schranken setzt; so ist es ausgemacht,
daß, wenn auch das gewöhnliche Talent meßbar seyn mag,
das ungewöhnliche nur schwer gemessen werden kann, das
Genie vollends gar nicht. Es entspringt also aus den vielen
Studienvorschriften, wenn sie durchzusetzen sind, einförmige
Regelmäßigkeit, mit welcher der Staat in schwierigen Haupt
fällen doch nicht berathen ist. Wahr ist es, das ganz schlechte
wird dadurch aus Schule und Nniversität abgewehrt, aber
vielleicht wird auch das ganz gute und ausgezeichnete dadurch
gehemmt und zurückgehalten. Im Durchschnitt betreten jetzt
die Schüler die Akademie mit gründlicheren Kenntnissen, als
vormals; aber im Durchschnitt geht dennoch daraus eine ge
wisse Mittelmäßigkeit der Studien hervor. Es ist alles zu
viel vorausgesehn und vorausgeordnet, auch im Kopf der
Studierenden. Die Arbeit des Semesters nimmt unbewußt
ihre Richtung nach dem Eramen; der Student muß alle Kol
legia hören, worüber er Zeugnisse beizubringen hat, ohne das
würde er manche nicht gehört haben, entweder weil ihn der
sie vortragende Professor nicht anzieht, oder weil ihn seine
Neigung anderswohin lenkt. Dagegen bleibt ihm beinahe keine
Zeit übrig diejenigen zu hören, die ihm nicht vorgeschrieben