Altdeutsche Predigten-
XXXII. Bd.
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einer 189, 142, weil der heilige männlich; überhaupt freye
Stellungen des Adj. und Pron.: ze der zeswen siner siten
284 (etwa wie N. Cap. 4 1 Heba sin wirten) ; ein der liebste
bneht 289; welch der tiuvel 3o5; du armer mensche tum-
lier! 296; ir friheit der jugende diu gelimpfe in bas (ihre
jugendliche Freyheit stehe ihnen wohl an) 197; der Gen. vom
regierenden Nomen getrennt: an die Stange nagelte des heren
criuzes 25; daz dritte gebot zerbrochen unsers herren 64;
doch es können hier weder alle syntaktischen Eigenheiten dieser
Prosa angegeben, noch weniger ähnliche Stellen aus den Dich
tern und der alteren Sprache mitgetheilt werden. Mit welcher
ungemeinen Freyheit, ja Nachlaßlgkeit die Rede aus direkter
in oblique Beziehung überspringe, wie aus dem Pronomen
zweyter Person in das der dritten, aus dem Plur. in den
Sing., so wie umgekehrt, davon liefern die im Verlaufe die
ser Beurtheilung ausgehobenen Stellen hinreichende Beyspiele.
Einiges in dieser Weise mag sogar verbotene Fahrläßig-
keit scheinen, die sich wohl Berthold im Flusse seiner un-
studierten Beredsamkeit verstatten durfte (und wer weiß es,
ob sich verstattete ^ da mit der Gabe des Redens auch die der
Sprachreinheit verbunden zu seyn pflegt), die aber beym Nie-
derschretben der Predigten unter seiner Hand verschwunden
seyn wurde. Wiederholungen einzelner Worte und Satze, wie
sie allenthalben begegnen, waren dann auch weggeblieben.
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind nicht von Berthold selbst,
sondern von einem Zuhörer seine Reden aufgeschrieben wor
den. Das hat bereits Kling in der Vorrede XI dargethan,
wohin ich verweise.
Hinzufügen muß ich jedoch, daß ich die Niederschreibuug
für höchst treu halte, und daß sie die Eigenthümlichkeit des
Redners in Wendungen, Ausdrücken und selbst im Mundarti
schen genau erfaßt haben wird. Bey eigener Aufzeichnung
hatte er vielleicht die Perioden mehr gebildet und zusammen
gezogen, und ihnen dadurch von ihrer Natürlichkeit benommen,
die dem Leser wie dem Hörer doch das Liebste und Anziehendste
ist. Die Möglichkeit getreuer, vollständiger Aufnahme einer
eben gehaltenen Predigt aus dem bloßen Gedächtnisse durch
einen fähigen Zuhörer leidet keinen Zweifel. Es geschieht noch
heut zu Tage: um so leichter damals, wo die Gedächtnißkraft
im Ganzen schärfer und ungestörter waltete, und die Einübung
des Niederschreibens ungleich höhern Werth hatte. In Tan
ker s Predigten (alter Leipziger Druck, bald am Ende) wird
das vollständige Aufzeichnen einer angehörten Rede berichtet.
Bekanntlich,hat noch über zweyhundert Jahre hernach der