Full text: Gudrun

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 212 
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vom Räuber entführt wird, und diefer fo fich feinen Untergang felbft be 
reitet. Ohne Zweifel waltet hier Entltellung der urlprüngliehen Sage, 
denn es hat wenig Sinn, dafs die fchon erwachfene Hilde zuerft den Knaben 
ernährt und nachher feine Gattin wird: wie die Erzählung anfangs lautete, 
war ficherlich nur Hilde vom Greifen fortgeführt; irrthümlich wurde difs 
fpäter auch von Hagen berichtet, wodurch fich alles verfchob. Diefes Aus 
weichen aus anfänglichen Geleifen ift, wie ich zu Anfang umftändlicher 
befprochen habe, ganz im Wefen der Sagenentwicklung begründet. 
Zum zweitenmal ift uns alfo die Sage hier unter veränderter Geftalt 
einleitend gegeben; zwar kürzer als im zweiten Theil, aber nicht wie hier 
mitten enzwei gebrochen, fondern vollftändig in ihren Hauptzügen. Wie 
Gudrun von Hartmuot, wie Hilde die Irin von Horand-IIelel, fo ift Hilde 
die Inderin vom Greifen entführt; ein mislungener Verfuch fie zu retten 
zwar wird nicht berichtet; man wollte denn dafür gelten laffen, dafs Hagen 
erft lang nachdem er den Greifen befiegt hat, mit feiner Braut heimkehren, 
alfo die Befreiung vollenden kann. Indem difs letztere hier umftändlich 
erzählt wird, tritt der erfte Theil als abgefchloffenes Ganzes dem zweiten 
gegenüber und neben den dritten: Hilde I. und Gudrun, Greifeneiland 
und Normandie, Hagen und Herwig decken fich. 
Somit fieht Gudrun, glücklicher als Parcival oder Triftan, die nur 
vom Vater wufsten, ihr Gefchick nicht allein in dem der Mutter, fondern 
auch in dem der Grofsmuttcr vorgefpiegelt; ja mit kleinlicher Treue werden 
auch noch ihres Grofsvaters Vorfahren wenigftens angeführt: feine Eltern 
Sigcband und Uote II. (61. 182.), feine Grofseltern Ger und* Uote I. (1.) 
Verwandte Sagen. 
Nachdem wir hier im Rahmen Eines Gedichtes drei verfchiedene Dar- 
ftellungen derfelben Mähre kennen gelernt haben, ift es nicht ohne Werth 
noch einen weiteren Kreiss nach ihr zu durchforfchcn, und es wird fich 
zeigen dafs fie bei verwandten Völkern unter mannigfachen Formen weit 
verbreitet war. 
Ein unbekannter Dichter des 12. Jahrhunderts, von dem fich nur fagcn 
läfst dafs er dem füdöftlichen Deutfchland angehört haben mufs, führt in der 
Klage, einer Dichtung des Nibelungenkreisses, unter andern edlen Frauen 
die König Etzels Gattin, Helche, bei fich hat, auch Goldrun (d. i. Gudrun) an:
	        
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