DRITTER TEIL: ZWEITES BUCH
das ist ein ganzer Tag. Denn der Tag liegt zwischen zwei
Mitternächten; nur die erste von ihnen ist wahrhaftig Nacht,
die andre ist Licht. Und so heißt, einen solchen langen Tag
mit Qott leben: ganz mit Gott leben, — das Nichts, das vor
das Leben gesetzt ist, und das Leben selbst, und den Stern,
der über dem Schwarz der Nacht jenseits des Lebens aufgeht.
Der Christ lebt solch ganzen langen Tag am Tag des Anfangs,
wir am Tage des Endes. Beide Feste sind so hinaus
gewachsen über die Bedeutung, die sie ursprünglich hatten.
Der Versöhnungstag wurde, was seine Einsetzung kaum ahnen
läßt, zum höchsten Feiertag, an dem schon zu Zeiten Philos
des Alexandriners genau wie heute auch die sonst Lauen, die
sich selten dort sehen ließen, scharenweise ins Haus Gottes
strömten und sich mit Beten und Fasten wieder zu ihm zurück
fanden. Und so ist Weihnachten umgekehrt aus einem Kirchen
fest zum Volksfest geworden, das selbst die entchristlichten,
ja die unchristlichen Glieder des Volks in seinen Bann zwingt.
Jener Tag, der das Ende vorwegnimmt, ist so ein Zeichen für
die innere Selbsterhaltungskraft unsres Volks im Glauben ge
worden; dieser Tag, der den Anfang erneuert, ein Zeichen für
die äußere Ausbreitungsfähigkeit des Christentums über das'
Leben.
Das Fest des Anfangs der Offenbarung ist also das einzige,
das im Christentum unserm Fest der Erlösung in gewisser
Weise die Wage hält. Ein eigenes Fest der Erlösung fehlt.
Im christlichen Bewußtsein, wo sich alles auf den Anfang und
das Anfängen sammelt, verwischt sich der klare Unterschied,
der für uns zwischen Offenbarung und Erlösung besteht. In
Christi Erdenwallen, allermindest in seinem Kreuzestod und
eigentlich schon in seiner Geburt ist die Erlösung bereits ge
schehen. Christus, nicht etwa erst der wiederkehrende, nein
schon der von der Jungfrau geborene, heißt Heiland und
Erlöser. Wie bei uns in den Gedanken der Schöpfung und
Offenbarung ein Drang liegt, aufzugehn in den Gedanken der
Erlösung, um derentwillen schließlich allein alles, was voran
ging, geschah, so wird im Christentum der Gedanke der Er