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DRITTER TEIL: ERSTES BUCH
alten und droht das Leben wieder als freien Fluß dahinfließen
zu lassen; aber sofort erhebt der Staat wieder sein Schwert
und bannt den Fluß aufs neue zum Stehenden, die fortlaufende
Bewegung zum Kreis. Diese vom Staat gebannten Augenblicke
sind so rechte »Stunden« des Volkslebens, das von sich aus
keine Stunden kennt; erst der Staat bringt in den unaufhör
lichen Abfluß dieses Lebens in der Zeit Stillstände, Halte
punkte, Ep=ochen. Die Epochen sind die Stunden der Welt
geschichte, und nur der Staat bringt sie hinein durch seinen
kriegerischen Bannspruch, der die Sonne der Zeit Stillstehen
läßt, bis jeweils für diesen Tag »das Volk Herr geworden über
seine Feinde«. Ohne Staat also keine Weltgeschichte. Der
Staat allein läßt jene Spiegelbilder der wahren Ewigkeit in den
Zeitstrom fallen, die als Epochen die Bausteine der Welt
geschichte bilden.
U nd darum muß die wahre Ewigkeit des ewigen Volks dem
Staat und der Weltgeschichte allzeit fremd und ärgerlich
bleiben. Gegen die Stunden der Ewigkeit, die der Staat in den
Epochen der Weltgeschichte mit scharfem Schwert einkerbt in
die Rinde des wachsenden Baums der Zeit, setzt das ewige
Volk unbekümmert und unberührt Jahr um Jahr Ring auf Ring
um den Stamm seines ewigen Lebens. An diesem stillen, ganz
seitenblicklosen Leben bricht sich die Macht der Welt
geschichte. Mag sie doch immer aufs neue ihre neuste Ewig
keit für die wahre behaupten, wir setzen gegen alle solche Be
hauptungen immer wieder das ruhige, stumme Bild unsres
Daseins, das dem, der sehen will, wie dem, der nicht will,
immer wieder die Erkenntnis aufzwingt, daß die Ewigkeit nichts
Neuestes ist. Der Arm der Gewalt mag das Neueste mit dem
Letzten zusammenzwingen zu einer allerneusten Ewigkeit.
Aber das ist nicht die Versöhnung des spätesten Enkels mit
dem ältesten Ahn. Und diese wahre Ewigkeit des Lebens,
diese Bekehrung des Herzens der Väter zu den Kindern, wird
immer wieder durch unser Dasein den Völkern der Welt vor
die Augen gerückt, auf daß sie stumm die weltlich-allzuwelt-