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DRITTER TEIL: ERSTES BUCH
I m gemeinsamen Hören wurde die Vorbedingung des gemein
samen Lebens geschaffen. Die Gemeinschaft wurde bei
einem gemeinsamen Namen gerufen, und indem sie auf ihn
hörte, war sie da. Nun konnte sie sich gemeinsam an den Tisch
des Lebens setzen. Aber das gemeinsame Mahl vereinte die
Gemeinschaft immer nur zu den Stunden, wo es eingenommen
wurde. Und es vereinigte immer nur die Gemeinschaft, die es
vereinigte. Zum Mahl kommen immer nur die Geladenen. Dem
Wort kann folgen, wer es hört. Zum Mahl kann nur kommen,
wer geladen ist, — eben wer das Wort gehört hat. Ehe er zum
Mahle kommt, kennt er die andern Gäste nicht. Er selber hat
wohl die Einladung gehört, aber jeder hat sie für sich gehört.
Erst beim Mahl lernt er die andern kennen. Das gemeinsame
Schweigen der Hörer des Worts ist noch ein Schweigen jedes
Einzelnen. Erst bei Tisch lernt man sich in den Gesprächen,
die auf dem Grunde des gemeinsamen zu Tische Sitzens auf-
blühen, kennen. Geht man jetzt auseinander, so ist man nicht
mehr unbekannt. Man grüßt sich, wenn man sich begegnet.
Der Gruß ist dies höchste Zeichen des Schweigens: man
schweigt, weil man einander kennt. Damit sich alle Menschen,
alle Zeitgenossen, alle schon Gestorbenen, alle noch Un
geborenen einander grüßten, wäre es nötig, daß sie mit
einander, wie man sehr gut sagt, einen Scheffel Salz gegessen
hätten. Aber eben diese Vorbedingung ist unerfüllbar. Und
doch ist dieser Gruß Aller an Alle erst die höchste Gemein
schaft, das Schweigen, das nicht mehr gestört werden kann.
In die Andacht des Hörens fällt von draußen die Stimme
aller derer, die den Ruf nicht vernommen haben; die Ruhe des
häuslichen Tisches wird nicht geachtet von dem Lärm der
Ungeladenen, die auf der Straße ahnungslos unter dem er
leuchteten Fenster Vorbeigehen. Erst wenn alles schwiege,
wäre das Schweigen vollkommen und die Gemeinschaft alb
gemein. Der Gruß Aller an Alle, worin dies allgemeine
Schweigen sich anzeigte, hätte, wie jeder Gruß allermindestens
die Bekanntmachung und den Austausch einiger Worte, so
das gemeinsame Hören und das gemeinsame Mahl zur Vor