35Q
DRITTER TEIL: EINLEITUNG
gleich das vertraute Eingehn des Menschen in das, was von
der Welt her ist, in die Schöpfung.
Dies ist ein großer Augenblick in der Geschichte des
Menschen, wo zum ersten Mal der Mensch so seine Arme
betend zum eigenen Schicksal erhebt. Nicht gefühllos hat dem
der Mensch Goethe, in welchem dieser große Augenblick her
vorbrach, gegenübergestanden. Er hat es gewußt und hat es
als Greis in einem überkühnen, aber bis auf den Grund
blickenden Wort ausgesprochen: er, so meinte er, sei vielleicht
in seiner Zeit noch der einzige Christ, so wie ihn Christus ge
wollt habe. Was ist der Sinn dieses hart an lästernden Wahn
sinn grenzenden Ausspruchs? Denn indem er sich in seiner
Zeit als den »vielleicht« einzigen bezeichnet, gibt er sich
selber — »ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet« — eine
einzigartige Stellung in der Geschichte des Christentums, über
alle Möglichkeit des Erkennens und Verstehens hinaus. Christ
sein heißt ja nicht: irgendwelche Dogmen angenommen haben;
sondern sein Leben unter die Herrschaft eines andern Lebens,
des Lebens Christi stellen und, dies einmal geschehen, fortan
das eigene Leben nur in Auswirkung der von dort zuströ
menden Kraft zu leben. Wenn also Goethe sich als den viel
leicht einzigen Christen seiner Zeit bezeichnet, so kann das
nur heißen, daß die ganze von Christus ausströmende Kraft
sich »heutzutage« in ihm angesammelt habe und in ihrem
lebendigen Fortströmen irgendwie an ihn und sein scheinbares
Heidentum gebunden sei. Denn dies ist das einzige, wodurch
nun dennoch jenes sich unter das Leben Christi Stellen in ge
wisser Weise dogmatische Folgerungen erzwingt: die Voraus
setzung, daß jenes Leben einzig in der Welt sei und seine
Wirkungen nur aus ihm und also, von den unwichtigen be
wußten Vergewisserungen der Einzelnen abgesehen, in ihrer
unbewußten Lebendigkeit in einem einzigen ununterbrochenen
Strome nur von ihm ausgehen können; und in diesem Sinn
wäre freilich das Leben Christi ein oder vielmehr das Dogma
der Christenheit; wie denn in der klassischen Form des Dog
mas, der Dreieinigkeitslehre, das Leben Christi, nach rückwärts