VOM REICH
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So aber ist es nicht. Wohl möchte der im Gebet erleuchtete
Mensch das Himmelreich mit Gewalt vor der bestimmten Zeit
herbeiführen; aber das Himmelreich läßt sich nicht vergewal
tigen, es wächst. Und so fällt die magische Kraft des einzelnen
Beters, wenn sie weiter schweift als zum Nächsten, ins Leere.
Der Übernächste, zu dem sie sich zu schwingen suchte, nimmt
sie nicht in sich auf, und weil sie so weder in ihm Boden noch
von ihm den Rückweg findet, so ist ihr auch der Weg vor
wärts versagt; denn um weiter vorwärts sich zu verbreiten,
müßte sie erst einmal wieder Grund unter ihren Füßen gespürt
haben. Das ist das Unglückliche der Liebe zum Übernächsten;
obwohl sie doch echte Liebestat wirkt, verendet sie in ihrem
erreichten Ziel ganz ähnlich wie die Zwecktat; die Gewalt
samkeit ihres Anspruchs rächt sich an ihr selbst. Der Schwär
mer, der Sektierer, kurz alle Tyrannen des Himmelreichs,
statt das Kommen des Reichs zu beschleunigen, verzögern es
eher; indem sie ihr Nächstes ungeliebt lassen und nach dein
Übernächsten langen, schließen sie sich aus von der Schar
derer, die in breiter Front vorrückend Stück für Stück des
Erdbodens, ein jeder das ihm nächste, erobern, besetzen, —
beseelen; und ihr Vorgreifen, ihr persönliches Bevorzugen
des Übernächsten leistet den Nachfolgenden keinen Pionier
dienst; denn es bleibt ohne Auswirkung; das vom Schwärmer
vorzeitig bestellte Ackerland trägt keine Frucht; erst wenn
seine Zeit gekommen ist — und sie kommt auch für es —, erst
dann trägt es; da aber muß die ganze Arbeit des Bestehens
wieder von frischem getan werden; die erste Aussaat ist ver
fault, und es gehört schon die eigensinnige Torheit der Ge
lehrten dazu, um angesichts der verfaulten Reste zu behaup
ten, dies wäre »eigentlich« »schon« das gleiche, was später
zur Frucht gereift sei. Zeit und Stunde sind um so mächtiger,
je weniger der Mensch sie weiß.
Zeit und Stunde — sie sind ja nur vor Gott ohnmächtig.
Denn für ihn allerdings ist die Erlösung so alt wie Schöpfung
und Offenbarung, und so prallt, grade insofern er nicht bloß