OFFENBARUNG
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Stoff, bis der Marmor zum Leben erwacht Das Genie ist
schon viel zu verengt, um noch so lieben zu können, wie es
dieser Beseelungsvorgang erfordert. Das Werk erwacht zum
Leben in der Liebe des Menschen selber. Die Beseeltheit des
Werks kommt aus der gleichen Tiefe wie die Genialität des
Urhebers, doch diese in einfürallemal geschehenem, über-
mächtigmnbegreiflichem Hervorgetretensein, jene in immer
erneutem öffnen der menschlichen Brust und Preisgeben ihres
Geheimnisses.
Im Urheber selbst hatten wir wiederum als das Grund
legende die Eigenschaften des »Poeten« nach dem ursprüng
lichen Wortsinn, das Schöpferische erkannt, dies »Innerlich»
volIer=Figur=sein«, die Gemeinsamkeit und gewissermaßen
Familienähnlichkeit der Einfälle. Es ist das, was aus dem Ur
heber heraustritt, er weiß selber nicht wie — die notwendige
Voraussetzung des Weiteren. Aber wiederum ist nun das,
was zu dieser notwendigen Voraussetzung hinzutreten muß,
nicht aus ihr abzuleiten, sondern kommt unmittelbar aus dem
Charakter des Urheberseins. Das Künstlertum im engeren
Sinn, das Können entspringt nicht aus dem Reichtum der
schöpferischen Einfälle. Es genügt nicht, Einfälle zu haben, es
gehört auch »Fleiß« dazu; wer sich auf jenes allein verläßt und
alles davon erwartet, dem kann es gehen wie dem jungen
Spitteier, der ein volles Jahrzehnt lang die Konzeption seines
ersten Werks nicht auszuführen wagte, weil er meinte, das
müsse ebenso »von selber« kommen wie die Konzeption. Das
Genie »ist« zwar nicht Fleiß, aber es muß Fleiß werden, sich
zum Fleiß machen. Das bedeutet eine Selbsthingabe des
Genies. Während sein Schöpfertum sein Wesen nicht ver
ändert, sondern frei die Gestalten aus ihm heraus ins Leere
treten, zehrt das Künstlertum ihm am Mark. Als Schöpfer
steht das Genie in ruhiger Macht über den Gestalten, die es
aus sich herausgesetzt hat, als Künstler muß es sich ihnen in
leidenschaftlicher Selbstvergessenheit hingeben; es muß auf
seine Ganzheit Verzicht tun, grade um dessentwillen, was es
ist und werden will: nämlich Urheber. Es muß sich in die ihm