© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L77
VII.
GLAUBE RECHT SITTE.
Schon haben wir boden gewonnen. Völker die in einfachen 114
brauchen des hirtenlebens, der jagd und des ackerbaus, in wiederkeh
renden jahresfesten und in ihrer naturanschauung, oft mit den feinsten
zögen übereinstimmen, müssen allenthalben diesen Zusammenhang in
glauben, recht und sitte bewähren: es ist freie gemeinschaft, die auch
grosze abweichung und Verschiedenheit leidet. Aus einer unitbersehli-
chen menge von gegenständen sollen hier nur solche hervorgeho
ben werden, die grundlage und Übergänge dieser anstalten erkennen
lassen.
So lange die menschen in der ofnen natur und den Wäldern leb
ten, wurde auch der götter aufenthalt und jeder verkehr mit ihnen an
keine andre Stätten gelegt, es gab allerwärts dunkle haine, in deren
tiefem schauer, heilige berge, auf deren unnahbarem gipfel man sich
die gotlheit wohnend dachte, geweihte priester hallen den Zugang;
das gesammte volk nur an tagen, wo der golt zu erscheinen pflegte,
wo ihm feierliche gaben dargereicht wurden.
Das opfer geschah an bestimmter dafür ausersehner stelle, un
ter hehrem bäum wurde rasen erhöht, ein tisch gesetzt, ein stein
errichtet.
Wenn die lateinische ara, wie Macrobius Sat. 3, 2 nach Varro
meldet, früher asa und ansa lautete, weil sie von opfernden und schwö
renden mit der hand angerührt wurde (aram tenere, tangere); so 115
scheint unsere alte spräche einen auffallend ähnlichen ausdruck darzu
bieten. das golh. ans, ahn. äs, schwed. äs, dän. aas bedeuten nem-
lich Soxog, trabs, inlernodium lignorum, und lilth. asa, lett. ohsa,
gleichfalls was lat. ansa. es wäre ein handhäbiger baumslamm, in
tisches weise aufgestellt und zum opfer eingerichtet, vielleicht mit gras
belegt, bald aber auch von steinen erbaut; wer gedenkt nicht der von
Tacitus erwähnten trunci in germanischen hainen? altare bezeichnet
hingegen ein höheres gerüsle, steingemauert und tuchbehangen, etwa
was ahd. höhsedal heiszt, thronus, und ihm gleicht gr. ßio/uog, ein
6