Das erste, in diesem Fall recht beachtliche Vermächtnis, das der Bibliothek aus
Privatbesitz zufiel, knüpft sich an den Namen des Geheimen Kriegsrats Philipp Senning.
Als Sohn eines kurbrandenburgischen Geheimen Sekretärs und Hofpostmeisters 1689 in
Berlin geboren, war er 1713 in hessische Militärdienste getreten und 1724 als Hauptmann
Sekretär des Prinzen Georg, eines Bruders Friedrichs I. und Wilhelms VIII,- geworden.
Dieses dienstliche Verhältnis hatte im Laufe der Jahre zu enger persönlicher Verbindung
geführt; das gleiche Interesse, das beide Männer der Wissenschaft und der schönen Lite-
ratur entgegenbrachten, das beide bei aller Sparsamkeit zur Sammlung beachtlicher Bücher-
schätze führte, hatte ein alle Standesunterschiede überwindendes Band zwischen ihnen
geknüpft. Einen sichtbaren Beweis dafür brachte das Testament des 1755 verstorbenen
Prinzen, durch das dessen 1250 Druck- und 16 Handschriften umfassende Bibliothek an
Senning fiel. Es traf sich glücklich, daß der größte Teil dieses Vermächtnisses im Palais
des Prinzen zur Verfügung auch des neuen Eigentümers bleiben konnte; denn nur so
konnte die Zerreissung dieser Bibliothek vermieden werden, die Senning - der bei seinem
Tod (1758) eine eigene Bibliothek von 1340 Bänden hinterließ - in seiner Behausung nicht
unterzubringen vermochte. Da er selbst betagt war, faßte er sogleich die spätere Verwen-
dung seiner nun recht bedeutenden Bibliothek ins Auge; als er noch in demselben Jahr
(1755) ernstlich erkrankte, übereignete er seine gesamte Bibliothek für den Fall seines
Todes der Fürstlichen Bibliothek. Wieder genesen, legte er diesen seinen Willen in einem
Testament vom 11.0ktober 1757 fest mit der Bestimmung, daß die sich ergebenden Doppel-
stücke an die Marburger Universitäts-Bibliothek abgegeben werden möchten. Außerdem
wurden dem Freund und Amtsgenossen des Erblassers, dem Kriegsrat Regner Engelhard
„alle Wolffische Bulfingerische, Thumigsche und Lateinische und Teutsche Schriften nebst
allen juristischen Büchern" vermacht, und schließlich dem Haupterben, dem damaligen
Hof-Sekretär und Burggrafen Christian Henrich Kinen, ein Anspruch auf die „Tripletten"
sowie das Recht zuerkannt, „ein oder anderes Buch, das ihm zu seinem Gebrauch etwa
dienlich seyn könte, vorher auszuwählen und zu behalten". Es kann nicht überraschen,
daß diese Bestimmungen Auseinandersetzungen zwischen Engelhard und den Kinenschen
Erben - auch Kinen war inzwischen gestorben -- heraufbeschworen; erst 1764 bzw. 1765
konnte die Bibliothek die Engelhard bzw. den Kinenschen Erben endgültig zugefallenen
214 bezw. 22 Bände übereignen 73). '
Engelhard zeigte sich anderthalb Jahrzehnte später dadurch erkenntlich, daß er
die von ihm während seiner Marburger Studienzeit nachgcschriebenen und sodann ausge-
arbeiteten Vorlesungshefte der Professoren Johann Ulrich von Cramer und Christian Wolff,
insgesamt 46 handschriftliche Bände, durch seinen letzten Willen der Bibliothek zuwies 74).
Die zur Ausführung des Senningschen Testaments erforderlichen Verhandlungen
mit der Universität Marburg sind unverzüglich eingeleitet worden; wann die erste Mit-
teilung darüber unter Bekanntgabe der aus dem Senningschen Vermächtnis sich ergebenden,
sowie der in der Fürstlichen Bibliothek ohnehin vorhandenen Doppelstücke ergangen ist,
läßt sich nicht feststellen. Die landgräfliche Regierung erinnerte aber schon am 16. Juni
1760 daran, daß der hierzu eingeforderte Bericht noch immer ausstehe und baldigst er-
wartet werde. Wie sich aus dem nun am 20. August erstatteten Bericht ergibt, hatte die
Universität die Auswahl aus dem Verzeichnis der Doppelstücke, die bei der 1723 abge-
haltenen Versteigerung unverkauft geblieben waren, noch nicht erledigt. Auf die hier
angebotenen Werke wurde nun kein Wert mehr gelegt, um so größerer aber auf das Ver-
mächtnis Sennings, das die Universität durch Übersendung der anfallenden Werke bald
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