Depressionen kommf. Wenn die Arbeiter am Ende der Woche ihren Lohn erhielten,
bekamen sie am Montag nichts mehr dafür; sie waren gezwungen, das Geld schnell
auszugeben. Kostete ein Einkaufskorb für die Aussteuer heute 10 000 Mark, so waren
es am nächsten Tag bereits 1 000 Mark mehr.
Löhne und Gehälter konnten sich der ständig steigenden Geldentwertung nicht
anpassen: Eine Bürgerin beispielsweise bekam für ein Kleid, an dem sie lange Zeit
gearbeitet hatte, am Ende nur noch ein Päckchen Stecknadeln. Wie im I. Weltkrieg
halfen die Leute bei den Bauern, um ein paar Kartoffeln für ihre Arbeit zu erhalten.
Die Kartoffelpreise waren dermaßen in die Höhe geschnellt, daß sie die meisten Bür-
ger nicht mehr bezahlen konnten. Die Stadt unterstützte zwar soziale und wirtschaft-
liche Einrichtungen, konnte aber den Verarmungsprozeß vieler Bürger nicht auf-
haken.
Am 22. Juli 1923 traten die Landarbeiter in den Streik. Aufgrund der fortschreiten-
den Inflation beschloß die Stadtverordnetensitzung am 29. Juni 1923 die Steuerzu-
schläge anzuheben. Am 15. November des gleichen Jahres erreichte die deutsche
Mark ihren niedrigsten Stand: 1 Dollar kostete 4,2 Billionen Mark! Am gleichen Tag
bekamen die Bürger die Rentenmark, so daß die Konjunktur etwas angehoben wer-
den konnte.
Wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit waren einige der wesentlichen Beweg-
gründe, das Land zu verlassen und in Amerika oder England sein Glück zu versu-
chen. Zu Fuß gingen einige von ihnen nach Amsterdam und verdienten sich ihre
Überfahrt als "Kohlenschippef. Allein im zweiten Halbjahr 1926 wanderten dreizehn
Familien aus dem Kreis Fritzlar in die Vereinigten Staaten aus.
Unterdessen sagte Amerika Deutschland größere Kredite zu, für die auch die Bauern
mit ihrem Besitz bürgen mußten. Die Reparationszahlungen wurden nach dem
Dawes - Plan niedrig gehalten und zeitlich nicht festgelegt. Wirtschaftliche Stabilität
blieb allerdings Wunschdenken. 1928 begann die große Arbeitslosigkeit. 1929, im
Jahr der Weltwirtschaftskrise, gab es in Gudensberg 101 Arbeitslose. Sie erhielten
wöchentlich Unterstützungsgelder in Höhe von 1711 Reichsmark.
Der Young - Plan legte die Reparitionszahlungen neu fest. Gudensberg hatte hier-
nach im ersten Jahr 664,70 Reichsmark zu entrichten. Durchschnittlich sollte die
Stadt bis zum Jahre 1987 jährlich 76 O30 Reichsmark aufbringen.
In der zeitlichen Festlegung auf 59 Jahre lag einer der wesentlichen Gründe für erneu-
ten Unmut und den baldigen Aufschwung des nationalsozialistischen Gedankenguts.