Konkrete Wünsche artikulierten sich auch aus dem Bereich der Bundes-
gerichtsbarkeit in Kassel: der Präsident des Bundessozialgerichtes
schlug vor, der Gesamthochschule einen Fachbereich Wirtschafts- und
Sozialrecht einzugliedern. 14 Überlegungen innerhalb der Höheren Fach-
schulen in Kassel verbanden sich mit der Forderung der dortigen Indu-
strie- und Handelskammer, entsprechende Aufbaustudiengänge vorzuse-
hen.
Demgegenüber hatte sich das Land Hessen in den vorausgehenden Jahren
eher zurückhaltend verhalten, da sein ganzes Engagement dem Ausbau
der zwischenzeitlich schon einmal geschlossenen Hochschuleinrichtun-
gen in Gießen zu einer Volluniversität, dem Ausbau der Technischen
Hochschule in Darmstadt und auch z. B. der Auslagerung der Naturwis-
senschaften in Marburg auf die Lahnberge galt. Die schrittweise Über-
nahme der Universität Frankfurt aus der städtischen Trägerschaft for-
derte ebenfalls finanzielle Anstrengungen des Landes. Die Ausgangs-
situation hatte sich aber mit der Landtagswahl bzw. wohl schon im Blick
auf sie verändert: der neue Ministerpräsident war darauf angewiesen,
mit seiner Bildungspolitik auch den nordhessischen Raum zu fördern.
Kultusminister Schütte wurde durch Prof. von Friedeburg abgelöst. Auf-
grund des Konjunkturaufschwungs zeichnete sich ein größerer Spielraum
im Steueraufkommen für Bildungsinvestionen ab. Der Wechsel in der Re-
gierungsmannschaft mußte zu dieser Zeit zugleich zum Durchbruch der
Hochschulreform führen - worin sich auch eine Verlagerung der Schwer-
punkte gesellschaftsve rändernder Reformen innerhalb der SPD in dieser
Zeit niederschlug. Der neue Kultusminister wurde speziell mit dem Auf-
trag berufen, in der Hochschulplanung eine neue Phase einzuleiten. Er
hatte sich auch vorher dessen versichert, daß diese Prioritäten haus-
haltspolitisch vom bisherigen Finanzminister und jetzigen Ministerprä-
sidenten voll abgesichert waren. So wurden an hervorragender Stelle in
der Regierungserklärung vom Oktober 1969 Kassel "weitere Hochschul-
einrichtungen" zugesichert. Die Finanzsituation der Stadt Kassel ließ es
geraten erscheinen, dem Ruf ihres Oberbürgermeisters nach Wachs.-
tumsimpulsen entgegenzukommen - und zwar nach der Wirtschaftsstruk-
tur Kassels durchaus im Dienstleistungsbereich, wozu eine Hochschule
im weiteren Sinn gezählt werden konnte. Im Oktober 1969 forderte der
Sprecher der FDP im Landtag, der spätere Wirtschaftsminister Karry,
den Ministerpräsidenten auf, in seiner neuen Eigenschaft nicht mehr den
Hochschulausbau wie ein Finanzminister zu bremsen, da ohne massiven
Mitteleinsatz die Studienreform nicht zu verwirklichen sei. 15 Er for-
derte unter anderem einen Verkehrsverband für die Studenten zwischen
den hessischen Hochschulen, um eine optimale Ausnutzung aller freien
Studienplätze für Studienanfänger zu gewährleisten. 15 Auch von seiten
der Opposition wurde die Auffassung vertreten, daß dieses Experiment
versucht werden sollte. So verwundert es nicht, daß sich keine der
Parteien hier den Rang ablaufen lassen wollte und sie somit einmütig
im Landtag nach dem Regierungsantritt Oswalds die Errichtung einer