Full text: Kreis Cassel-Stadt : Text, Teil 2 (6)

Im Übrigen bestand der Raummangel fort, sodaß die schnell anschwellende Bibliothek das Kanzlei- 
gebäude verlassen mußte und eine andere Unterkunft in dem ersten Stock des inzwischen an Stelle des ehemaligen 
von Boyneburgschen Hauses erbauten Marstalles fand} 
Als Wilhelm der Weise im Jahre 1592 gestorben war, hinterließ er seinem Sohne Moritz, der mit dem 
Beinamen der Gelehrte ausgezeichnet ist, den gefestigten Besitz eines wohl verwalteten und geleiteten Landes. 
Moritz konnte daher seine besondere Fürsorge auch dann der Hebung der allgemeinen Bildung und der Ver- 
besserung der Schulen zuwenden, als der dreißigjährige Krieg seine Schrecken ringsum verbreitete. Bereits im 
Jahre 1595 gründete er für die Söhne protestantischer Adelsfamilien in seinem Schlosse eine Hofschule, die er 
1599 zu einer Art Universität erhob und der er die im Jahre vorher zum Unterricht hergerichteten Gebäude 
des ehemaligen Karmeliterklosters überwies." Er weihte die neue Anstalt mit einer „herrlichen und schönen 
Oration" persönlich ein und nannte sie „CoIlegium Mauritianum".3 Wie es scheint, befanden sich nicht alle 
Räume der Schule im Kanzleigebäudeß Daß indessen hier zum wenigsten die beiden Auditorien des Collegiums 
untergebracht waren, ergibt eine Ankündigung von Vorlesungen über französische und italienische Sprache aus 
dem Jahre 1602, durch welche die Zuhörer aufgefordert wurden, sich in dem kleineren Hörsaal, welcher 
sich in der Kanzlei neben dem größeren befinde, einzustellen. Außerdem hatten auch seit 1601, wie aus der 
vom Landgrafen in diesem Jahre erlassenen Verordnung zu ersehen ist, acht studiosi publici ihre Wohnung in 
den Zimmern über der Kanzleistube und es ist möglich, daß auch noch anderen Zöglingen eine Wohnung 
daselbst eingeräumt wurde. Im Übrigen muß aber nach wie vor ein Teil der Schulräume im Schlosse ver- 
blieben sein, da um die gleiche Zeit die Rede davon ist, daß die schola publica und die schola classica, die 
beiden Abteilungen der Hofschule, nicht in einem und demselben Gebäude ihren Platz hattenß 
Der Erbanfall Marburgs an Hessen-Cassel bedrohte die Schule in ihrem Bestande, als Moritz sie im 
Jahre 1605 mit der alten Universität vereinigte und infolgedessen die meisten ihrer Lehrer von Cassel nach 
Marburg übersiedeltenß Trotzdem gelang es dem Landgrafen, das Collegium Mauritianum zu sichern, indem 
er die Anstalt durch Verordnung vom 16. Januar 1618 zu einer Ritterschule mit der ausdrücklichen Bestimmung 
als Vorstufe für die Universität umbildete und sowohl ihre innere Verfassung wie ihren äußeren Umfang 
beträchtlich vergrößertef Er baute die Klostergebäude um und verschmolz sie mit der Kanzlei} In welcher Weise 
das geschah, versucht das Chronostichon über dem Torweg des Flügels an der Kettengasse zu erzählen. Es lautet: 
HOC PIUS EX VOTO SERIS MEMORABILE SECLIS 
MAURITIUS PRIMUS CONDIDIT AUTHOR OPUS. 
HIC PIETAS ARTESQUE TOGAE MARTISQUE MINERVA 
DOCTA PROBE SEDEM GAUDET HABERE SUAM. 
O PATRIS HOC PATRIAE MONUMENTUM FULMINIS EXORS 
TUTELA UTERNUM STET MANATQUE DEI. 
CONSILIO CLARENS CLARENS VIRTVTE LYCEUIVLQ 
1 Duncker, Landesbibliothek. Neuber, Renthof S. 278. Vgl. Abschnitt „Landgrafenschloß. Marstall" S. 304. 
"' Neuber, Renthof S. 262. 
3 Weber, Gelehrtenschule S. 107. Rommel, Gesch. v. Hessen VI S. 437 ff. 
4 In Hist. d. Gelehrtheit I S. 427 wird angenommen, daß die ganze Hofschule vom Schloß in das Kanzleigebäude verlegt wurde. 
Danach Schminke, Cassel S. 393. 
"' Hartwig, Hofschule S. 21. 
5 Weber, Gelehrtenschule S. 106 E. 
7' Weber, Gelehrtenschule S. 110. Heidelbach, Ritterakademie. 
9 Winkelmann, Hessen S. IV 450, weicht von dieser Darstellung ab. Er berichtet, nicht erst im Jahre 1618, sondern schon 1599 sei 
das „CoIIegium lllustre oder Adelphicum" am 3. Oktober vom Landgrafen Moritz eingeweiht worden; 1618 sollen ansehnliche Gebäude für 
diese Schule errichtet und mit schönen Sprüchen verziert worden sein. Die Forschungen Webers und Neubers, die sich auf Aktenmaterial 
stützen, haben den Vorzug größerer Wahrscheinlichkeit. 
9 Knetsch, Inschriften S. 236. Die Inschrift ist schwer leserlich. Bei sehr gutem Reflexlicht ist PIUS, wie Knetsch, Inschrifen 
S. 236 gelesen hat, deutlich zu erkennen; OPUS bei Winkelmann, Hessen II S. 282, Schminke, Cassel S. 219, und Neuber, Renthof S. 263, 
ist also unrichtig. 
 
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