Das neue
Wieder einmal die „verkauften hessischen Landeskinder".
Wie es scheint, ist der dem hessischen Fürstenhaus angetane
Schimpf, seine Landeskinder nach Amerika verkauft Zu haben,
unausrottbar. PH. Losch, dem wir eine eingehende Darstellung
der hessischen und fremden Subsidienverträge verdanken*),
ist selbst nicht optimistisch genug zu glauben, dieses schmähliche
Gerede ganz zum Schweigen zu bringen, und noch im „Hessenland"
l939, Heft 3/4, hat er wieder auf „Schandflecken, die auf die
hessische Vergangenheit gemacht sind", hinweisen müssen. Man
kann und muß es verurteilen, wenn die Landesherren des 18.
und 17. Fahrst, welche über eine irgendwie bemerkenswerte
Truppenmacht verfügten, so gut wie allgemein auf Grund von
Subsidienvertragen ihre Soldaten in fremde Kriegsdienste ga
ben (übrigens hat Friedrich d. Gr. sehr gern von dieser Übung
Gebrauch gemacht!), denn es widerspricht unserem Gefühl durch
aus, daß eigene Volksgenossen für fremde Interessen bluten
sollten. Wenn aber immer wieder und nur ihm allein, nämlich
dem Landgrafen Friedrich II. von Hessen, der Vorwurf ge
macht wird, er habe Landeskinder verkauft, so ist das eine ge
flissentliche Beschimpfung. Immer wird nur der Hessenfürst
als ein ganz besonderes Scheusal hingestellt. Davon, daß auch
der Vraunschweiger, Anhalt-Zerbster, Ansbach-Vahreuther,
Waldecker Landesherr seine Soldaten im Jahr 1776 mit nach
Amerika ziehen ließ, macht niemand Aufhebens, ganz zu
schweigen von den Subsidienvertragen, welche andere Staaten,
wie z. B. Österreich, Kurpfalz, Kurbayern u. a. mit Frank
reich (!) abschlössen. Das Widerwärtigste in Beschimpfung der
Hessen leistete sich aber jetzt in der vielgelesenen Zeitschrift
„Volk und Welt" unter dem Titel „Kulturdünger" ein Pro
fessor Eilhard Erich Pauls aus Lübeck. In sensationeller Auf
machung malt er den Schacher mit Menschenfleisch aus, den
seine kurfürstliche (!) Gnaden von Hessen getrieben haben soll,
wobei es ihm nicht darauf ankommt, ihn gewaltsame Werbun
gen in Thüringen (!) vornehmen zu lassen. (In Hessen bestan
den sehr strenge Vorschriften gegen gewaltsame Werbungen.)
30 000 seien es gewesen, die Zu Ehren des Sternenbanners
oder der britischen Flagge gefallen seien, 5000 seien als Far
mer drüben geblieben und 17 000 seien zurückgekehrt. In Wahr
heit zogen noch nicht ganz 17 000 Hessen nach Amerika! Wann
wird endlich die Verunglimpfung der Hessen ein Ende haben?
1) Bärenreiterverlag Kassel 1938.
Karl von Baumbach.
Karl I u st i, Das Marburger Schloß (Veröffentlichungen
der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck XXI).
Marburg (Elwert) 1942. 146 S. 30 Tertabbildungn und 54
Tafeln.
Über der Darstellung der Geschichte des Marburger Schlos
ses schwebte bisher ein unglückliches Geschick. Friedrich Küch
wurde durch den Tod verhindert, seine umfangreichen Vorarbei
ten zu veröffentlichen. Einige Aufsätze, vor allem die in „Hes
senkunst" 1921 und 1924, sowie die Tafeln im 8. Bande der
Bau- und Kunstdenkmäler im Neg.-Bez. Kassel waren alles,
was ihm herauszugeben vergönnt war. Carl Knetsch konnte
sich nicht entschließen, etwas aus seinem reichen Wissen druk-
ken zu lassen. Fetzt schließt endlich Fusti, beiden in Freund
schaft verbunden und deshalb am besten mit ihren Gedanken
und Plänen vertraut, die lang empfundene Lücke und legt eine
umfassende und überaus gründliche Geschichte dieses wichtigen
Baudenkmales vor.
Fusti hat sich zu diesem Werk eine eigene Methode ge
schaffen, die zu den glücklichsten Ergebnissen führt. Die Grund
lage seiner Darstellung bildet der Berg selbst, der mit seiner
ursprünglichen und mannigfach veränderten Gestalt die Anlage
des Schlosses und der Befestigungen stärkstens beeinflußt hat,
und dem deshalb eingehende Untersuchungen gewidmet sind.-
Schon dadurch wird manches Problem aufgehellt. In müh
samer Arbeit verfertigte Iusti dann zusammen mit dem Bild
hauer Heinrich Nied zahlreiche Modelle. Neben die schriftliche
und bauliche Überlieferung tritt damit die unmittelbare drei
dimensionale Anschauung. So gelingt es, zahlreiche offene
Rätsel der Vaugeschichte zu lösen.
Das Ergebnis dieser Arbeitsweise ist überzeugend und in
vielem anders, als man bisher glaubte, annehmen zu dürfen.
Schrifttum
Freilich bleibt die gisonische Turmburg auch fernerhin recht
hypothetisch. Aber schon von der thüringischen Burg Ist ver
hältnismäßig viel auf uns gekommen, namentlich im Südbau.
Sehr interessant ist dabei die Anlage der sogenannten „Ratz-
falle", einer Torbefestigung unter dem heutigen Saalbau, die
bisher ganz unbekannt war. Mit dem Ausbau des Fürsten-
jchlosses in der dritten Periode durch Heinrich I. nähert sich
die Burg schon etwas mehr dem heutigen Aussehen. Sie er
reicht es im 15. Jahrhundert in der 4. Vauperiode. Die spätere
Zeit hat dann nur noch in Einzelheiten geändert und hinzuge
fügt.
Es ist nicht möglich, die Fülle des Neuen, die das Buch
bringt, hier auch nur annähernd anzudeuten. Es läßt uns in
seltener Geschlossenheit die Baugeschichte einer Burg von
ihren Anfängen bis in die neueste Zeit verfolgen. Zahlreiche
Tafeln und Zeichnungen erläutern dabei den Tert. Jeder, der
sich nun mit Iustis Hilfe in die Geschichte dieses schönen
Schlosses vertieft, wird ihm für seine Arbeit dankbar sein.
ü h l h o r n.
Kurt S ch a r l a u , Siedlung und Landschaft im Knüllge
biet. Ein Beitrag zu den kulturgeographischen Problemen
Hessens. Leipzig, Verlag von S. Hirzel, >941. X, 335 S.,
30 Abbildungen und 28 Karten. 12,— NM.
Mit naturwissenschaftlichen Methoden und historischer Dar
stellungsweise sucht in diesem Werk der Marburger Geograph
Kurt Scharlau nach den Ursachen einer geographischen Erschei
nung, des heutigen Siedlungs- und Landschaftsbildes. Sein
Untersuchungsgebiet ist der Knüll, jener Landschaftsraum Nieder
hessens zwischen Vogelsberg, Schwalm, Eder und Fulda, der
trotz seiner räumlichen Begrenztheit eine Fülle der geographi
schen und siedlungsgeschichtlichen Probleme bietet und unter der
Hand des Verfassers gleichsam zum Schulbeispiel in Methode
und Darstellung wird.
Die erdkundliche Untersuchung steht naturgemäß an erster
Stelle. Lage, Oberfläche und Gliederung, Klima, Bewässerung
und Boden sind Gegenstände des ersten Teiles der Arbeit. In
diesem Abschnitt erhält man einen Eindruck von der Vielgestal
tigkeit und dem Reichtum der Oberflüchenformen dieses so
wenig erschlossenen und doch landschaftlich so anziehenden Ge
bietes, das durch die Gegensätzlichkeit zwischen Basalt im
Westen und Vuntsandstein im Osten seine hauptsächlichsten
Reize erhält.
Der Verfasser ist bereits durch mehrere Arbeiten über die
Probleme der Siedlungskunde bekannt geworden. Da er neben
der geographischen auch die historische Methode aufs gründ
lichste beherrscht, ist er zu solchen Untersuchungen besonders be
fähigt. So ist es verständlich, wenn er im zweiten Teil dec
Arbeit diesen Problemen den größern Raum widmet. Seine
Untersuchung ist hier ebenso quellenmäßig gründlich wie me
thodisch anziehend. In glücklicher Wechselwirkung von Geogra
phie und Geschichte entsteht vor uns ein Bild der Siedlungs-
Vorgänge, wie wir es vollständiger und tiefgreifender nicht
erwarten können.
Schon in der jüngeren Steinzeit erscheint der Knüll besiedelt,
und zwar wohnen Band- und Schnurkeramiker nebeneinander.
Die siedlungsfreundliche Vegetationsform des Gebirges lockte
in der Bronzezeit zu weiterer Besiedlung, die sich vor allem an
die Bergzüge und an die Verkehrswege anschloß.
Eine eingehende vorsichtige Analyse der Ortsnamen ergibt
für die frühgeschichtliche Zeit eine Besiedlung der gesamten
Fläche des Knüll in wechselnder Dichte. Die vorherrschende
Wirtschaftsform war die Waldweidekultur. Sie war durchsetzt
mit Ackerbau. Auch jetzt sind die natürliche Beschaffenheit der
Qberflächenformen und des Pflanzenkleides sowie die wirt
schaftlichen Nutzungsmöglichkeiten richtunggebend für die Be
siedlung.
Bis zum Hochmittelalter ist eine weiter steigende Besied
lungsdichte zu beobachten. Sie kann bereits in der fränkischen
Zeit nachgewiesen werden. Später ist dann das Aufkommen
der Städte von besonderem Interesse. Es wird in eingehender
Darstellung auf wirtschaftliche und politische Ursachen zurück
geführt. Dieser Abschnitt scheint mir besonders gelungen zu
sein.
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