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stieb. Schon durch seinen gewaltigen, weithin leuchten
den, schroffen Felssturz aus dem Jahre 1640 und den
sonnigen stufenförmigen Felshängen lockt der langge
streckte Bergrücken zum Besuch. Auf der mit einem Ge
misch von Buchen, Hainbuchen, Ahorn, Linden und Ei
chen bestandenen Hochfläche fängt es im ersten Frühling,
ehe das Vaumgrün hervorbricht und den Boden beschat
tet, an Zu sprießen. Die Frühblüher beanspruchen ein
gewisses Maß von Sonnenlicht. Zuerst recken sich die
spannenlangen Vlattsträuße des Bingelkrautes mit den
unscheinbaren grünlichen Blütenrispen empor und bil
den bald ausgedehnte grüne Flächen. Vereinzelt ragt
hier und da der Blütenstrauß des Seidelbastes oder Kel
lerhalses. Seine hellroten Blüten duften süß und be
täubend. Dort leuchten die weißen Becher des Wald
schneeglöckchens auf, dazu gesellen sich die weißen und
roten Vlütentrauben des Lerchensporns und die golde
nen Sterne des Gelbsterns. Von Tag zu Tag wird die
Blumengesellschaft größer. Es erscheinen die weißen und
gelben Windröschen, vom Volk „Elschen unter der
Hecke" genannt, dann die rotblauen Walderbsen. Stellen
weise erhebt sich eine wunderliche Blumengestalt mit
einer hohen blassen Kapuze, es ist der Aronstab, mit
dem starken, purpurnen Grisfelkolben. Die Pflanze sieht
in Blatt- und Blütenform unserer Topfpflanze Calla
ähnlich. In dem Meer von Bingelkraut sondern sich
Flecken ab, bedeckt von den glänzend polierten, großen,
nierenförmigen Blättern der Haselwurz. Die braunen
Blüten dieses Gewächses werden dem Auge gar nicht
sichtbar, sie liegen auf dem Erdboden, versteckt in dem
welken Herbstlaube. Dort erhebt sich aus der glänzen
den Vlattrosette eine blaßgelbe Blütenkerze, ähnlich einer
Abb. 58: Blaugras auf Muschelkalk an der Hörne
bei Bad Sooden-Allendorf
Abb. 59: Eibe am Badenstein bei Witzenhausen
Topfhyazinthe, das blasse Knabenkraut, Orchi8 pallens,
die zuerst blühende Orchidee. Nur wenige Exemplare
der seltenen Art sind im Umkreis zu finden. Häufiger
stehen da die kleinen Veilchen, das geruchlose Waldveil
chen und das leichtduftende großblütige Wunderveilchen,
Viola mirabilis. Mit der Waldbelaubung, anfangs Mai,
erscheinen der als Gewürzpflanze begehrte Waldmeister
und der nach Knoblauch duftende Bärenlauch, wohl auch
Iudenmaiblume genannt, und bilden weite, schneeweiße
Felder. Dann erscheint auch das rote männliche Knaben
kraut, Orchis mascula, und die großen weißen Sterne
der Waldsternmiere leuchten auf. Bald darauf gewinnt
das Bingelkraut ganz die Macht. Nahe zum Sommer
hin schwanken über der grünen Fläche die hohen Wald
gräser, Flattergras, rauhe Trespe, Waldzwenke, Niesen-
schwingel, Haargras und die zierlichen Perlgräser. Dann
ziehen an Waldwegen und in lichten Beständen das Ha
senohr, die blaue Akelei, die prächtige Bergkornblume
und die giftige Tollkirsche auf. Ueber all dem Blüten-
schmuck recken sich neben dem gelben Wolfseisenhut die
blauen Glockenblumen, die Türkenbundlilien und die
ganz hohen doldigen Wucherblumen.
Lockerer als auf der Hochfläche ist der Pflanzenwuchs
an den sonnigen Berghängen. In den Buchenbestand
mischen sich einzelne Kiefern. Neben einigen Gewächsen,
die wir auf der Höhe kennen lernten, wie Akelei, Wald
erbsen, Haselwurz und Seidelbast, treffen wir hier häu
fig die Schlüsselblumen, große Flecken mit Maiblumen
und dann die viel bewunderten Knabenkrautgewächse oder
Orchideen, die die Kalkberge in reicher Zahl tragen. Sie