Full text: Hessenland (49.1938)

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verhältnismäßig ausgeprägt- die Grenzzonen sind schmal. 
Gerade bei der für uns in Frage kommenden Trennungs 
zone aber, im Süden unseres Gebietes, wo die in Hessen- 
Nassau allgemein verbreitete „Kirmes" von der ober 
deutschen „Kirchweih" abgelöst wird, ist ein Ziemlich star 
ker Einbruch der südlichen Form „Kirchweih" in den 
„Kirmesbereich" zu spüren. Bis in den Vogelsberg und 
an die Lahn bei Limburg ist „Kirchweih" vorgedrungen 
und hat, besonders um Wiesbaden, Frankfurt und Geln 
hausen, „Kirmes" stark verdrängt (s. Abb. 2). Das Tor 
für das von Süden eindringende volkstümliche Gut ist 
die Wetterau und vor allem das Verkehrszentrum Frank 
furt. Die Einwirkung dieser Stadt auf die Volkssprache 
ist bekanntlich sehr groß. Sie macht sich bis in die Ge 
gend von Gießen bemerkbar. So ist auch die Erschei 
nung auf der „Kirmes"-Karte zu verstehen. 
Die Karte 11 zeigt die Verbreitung des Schützen- 
f e st e s und seiner Abarten. Sie ist die Ergänzung zu 
der vorigen Karte. Das Schützenfest lebt vor allem da, 
wo die Kirmes nicht gefeiert wird: in Norddeutschland. 
Daß der Brauch sich daher auch im Norden KurhessenS 
findet, ist verständlich, nachdem wir gesehen haben, daß 
die Volkstumsgrenze durch unser Gebiet hindurchläust 
Aber die Angaben gehen nur vereinzelt bis an diese 
Grenze heran. Die Kirmes ist schon in dem Grenzgebiet 
heimisch geworden und hat anscheinend das nieder 
deutsche Volksfest verdrängt. 
Das Schützenfest tritt sehr vereinzelt in ganz Deutsch 
land auf, und so findet man es auch in unserer Provinz 
zwischen Eder, oberer Lahn, Ohm und Schwalm. Es 
wird sich aber bei den zerstreut vorkommenden Festen 
hier und da um neuere Einführungen und nicht um ein 
althergebrachtes Volksfest handeln. Manche Orte feiern 
das Fest auch nur alle paar Fahre, was aus der Karte 
nicht hervorgeht. 
Die Karte 12, die die Verbreitung der F a st n a ch t 
zeigt, hat für unsere Betrachtung kaum Bedeutung. Fast 
nacht wird nur um Fulda und ganz vereinzelt westlich 
der Fulda bis nach Kassel hinaus gefeiert- das ganze 
übrige Gebiet hat das Fest nicht. Es geht hier natürlich 
nur um das wirkliche Fastnachtf eiern. Bräuche, die 
mit der „Fasenacht" verbunden sind, findet man in 
Hessen überall, man denke nur an die Heischeumzüge, an 
das Specksammeln der Kinder, wobei sie die „Grieben" 
an einem Spieß tragen, an das „Topfwerfen" der Bur 
schen. Alle diese Dinge mußten auf der Karte selbstver 
ständlich unberücksichtigt bleiben. 
Karte 13 behandelt die Frage nach dem Kinder 
fest. Sie zeigt in unserem Raum zwei geschlossene Ge 
biete. Das eine in Waldeck, wo das „S ch u l f e st" Zu 
Hause ist, das andere in Oberhessen, wo man das „Kin 
de r f e st" feiert. In den übrigen Teilen der Landschaft 
fehlen die Angaben so gut wie ganz. 
Mit Karte 14 lernen wir einen neuen Kartentypuö 
kennen, die Bedeutungskarte. Wir hatten bisher 
Karten, die den Bestand und die Verbreitung eines 
Brauches bezw. eines Glaubens veranschaulichten, ferner 
eine, die neben dem Bestand und der Verbreitung 
gleichzeitig die verschiedenen Namen für diese eine 
Sache (Kirmes) in ihrer geographischen Ausdehnung an 
gab, und wir haben es jetzt mit einer Karte zu tun, 
welche zeigt, was eine Bezeichnung alles bedeuten 
kann. Unsere Karte stellt fest, was man in den verschie 
denen Gegenden mit dem Worte „Korn" meint. Wir in 
Hessen verstehen unter „Korn" den Roggen, und damit 
ist unser Raum eingegliedert in den mitteldeutschen-süd- 
deutschen Raum. Es gibt aber Gebiete, in denen „Korn" 
auch für Gerste, Hafer, Dinkel oder Spelt gebraucht 
wird, und es gibt ein großes Gebiet, ungefähr ganz 
Norddeutschland, in dem „Korn" die Gesamtheit des 
Getreides, also das, was bei uns allgemein „Frucht" 
heißt, bedeutet. Dies niederdeutsche Gebiet greift im. 
Norden in unseren Bezirk herein. Vis zur Eder findet 
man Belege, einen sogar südlich derselben. Hier tritt 
also wieder die bekannte Volkstumsgrenze hervor. 
Was für ein Wesen sitzt nach der Meinung des Vol 
kes im Mond? Diese Frage behandelt Karte 15. All 
gemein verbreitet ist in Deutschland der Glaube, daß 
ein Mann im Mond sitze. Vielfach aber sieht man darin 
auch eine Frau, ein menschliches Paar, eine Gestalt aus 
der Volkserzählung, eine christliche Gestalt usw. Der hes 
sische Raum kennt fast ausschließlich den Mann im 
Mond. Nur ganz wenige Orte geben eine Frau, ein 
Tier, ein Gesicht und eine Gestalt aus der Volkserzäy- 
lung an. Daneben gibt es ein paar Orte, die dem 
Mondgesicht einen Personennamen beilegen- und gerade 
in dieser letzten Angabe unterscheidet Hessen sich auf 
fallend vom Rheinland und von Thüringen, wo die Orte 
sich häufen, die dem Mondgesicht einen Namen geben. 
Hessen erscheint in diesem Punkt wie die süddeutschen 
Länder und wie Nordwestdeutschland. Hier tritt der 
Charakter unseres Raumes als Durchgangslandschast 
für den Verkehr von Süden nach Norden deutlich zutage. 
Oer Zusammenhang mit den im Westen und Osten be 
nachbarten Gebieten ist Zerrissen, Hessen zeigt sich als 
ausgeglichenes Gebiet zwischen Süd und Nord. Die 
wenigen Belege, die aus der Karte recht deutlich hervor 
gehoben sind, sind Neste einer ehemals jedenfalls wohl 
weiter verbreiteten Erscheinung. Derselbe Zusammen 
hang mit dem Norden und dem Süden auf der einen, 
und der Gegensatz zu den westlichen und östlichen Nach 
barlandschaften auf der anderen Seite zeigte sich uns 
schon, wenn auch weniger ausgeprägt, bei der Betrach 
tung des Sonnabends und Sonntags als Glücks- oder 
Unglückstage. 
Auf Karte 16 ist dargestellt, was der Mann im Mond 
trägt. Hier ist bei uns wie in dem größten Teile des 
Reiches die Meinung verbreitet, daß die Last ein Reisig 
bündel sei. Ein Ort an der Ohm gibt ein Traggerät an. 
Karte 17, die die Formen der Kinderwiege in ihre' 
Verbreitung zeigt, ist für uns sehr interessant und beson 
ders wichtig. Hier treten Kurhessen und Waldeck als ein 
Kerngebiet, und zwar als einziges in Deutschland her 
vor, welches den Längsschwinger hat (s. Abb. 3). Oer 
Längsschwinger ist die Wiege, bei der die Gchwingkufen 
in Längsrichtung unter dem Bettkasten angebracht sind. 
Das Gebiet greift nach Westen und Osten etwas über 
die Grenzen der Provinz hinaus, aber das eigentliche 
Kerngebiet ist die Nordhülste unseres Bezirkes. Südlich 
dieses Lüngsschwingergebietes ist der Querschwinger zu 
Hause, die allgemein verbreitete Wiegenform in Deutsch 
land. Im Vogelsberg und weiter südlich haben einige 
Orte einen noch anderen Typ, nämlich den an der Zim 
merdecke aufgehängten Bettkasten. Diese Form findet
	        
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