Full text: Hessenland (49.1938)

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bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten einge 
denk sein — sie selbst verspürte verhältnismäßig wenig 
von dem Geschehen, das die Geschicke ihres Heimatkrei 
ses nunmehr an Preußen ketten sollte. Damit fand eine 
Entwicklung ihren Abschluß, in der die Bewohner der 
Hohen Rhön innerhalb von sieben Jahrzehnten im Nah 
men der deutschen Neichswerdung fünfmal, ja ein Teil 
sogar zehnmal, unter andere Hoheit gekommen waren. 
Das 19. und 20. Jahrhundert. 
Auch die Bewohner des Grenzlandes Nhön sollten 
zu Beginn des 19. Jahrhunderts das deutsche Schicksal 
in unmittelbarer Mannigfaltigkeit erleben. 
Im Frieden von Lunöville 1801 mußte das sterbende 
deutsche Reich dem siegreichen revolutionären Frankreich 
das linke Nheinufer überlassen und sich verpflichten, die 
Fürsten innerstaatlich Zu entschädigen. So kam es zum 
Reichsdeputationshauptschluß von 1803, nach dem alle 
geistliche Landesherrschaften und die reichsunmittel 
baren Ritterherrschaften ihre Selbständigkeit verloren 
und unter die geschädigten weltlichen Fürsten verteilt 
wurden. Zweitausend Quadratmeilen deutschen Bodens 
wurden neu vergeben, 112 deutsche Staaten verschwan 
den. Drei Jahre später besiegelte der unter Napoleon 
gegründete Rheinbund das Schicksal des tausendjährigen 
Römischen Reiches deutscher Nation. Die „Pfaffengasse" 
des Reiches und die ultramontan eingestellten süddeut 
schen Staaten wollte Napoleon benutzen, um das letzte 
große deutsche Territorium, Preußen, zu zerschlagen, um 
eine Wiedergeburt des Reiches endgültig unmöglich zu 
machen- der Freiheitskampf Preußens machte seine 
Pläne zunichte. Noch einmal, doch vom Wiener Kon 
greß, wurde die Staatenkarte Deutschlands von Grund 
aul geändert. Wieder verschwanden Dutzende kleiner 
Territorien zu Gunsten größerer Bundesländer des 
neuen deutschen Staatenbundes. So schuf das Schicksal 
in der tiefsten Not des Reiches Bausteine des zweiten 
Reiches. 
Welche umfassenden Änderungen die Territorial 
gestaltung des deutschen Raumes durch den Neichs- 
deputionshauptschluß, die napoleonische Aera und den 
Wiener Kongreß in all ihrer Willkürlichkeit und unge 
wollten Zweckmäßigkeit erfuhr, ersehen wir in einer bei 
spielhaften Vielfältigkeit in unserem Heimatraum, der 
Rhön. 
In das Gebiet des ehemaligen Kreises Gersfcld teil 
ten sich um 1800 das Fürstbistum Fulda mit Teilen der 
Ämter Motten, Wyhers und Bieberstein, das Fürsten 
tum Würzburg mit dem Amt Hilders, die reichsunmit 
telbaren Ritterschaften Gersfeld, Schakau und Tann. 
1803 kam infolge des Reichsdeputionshauptschlusses 
das Fürstbistum Würzburg als Fürstentum mit 
dem Amt Hilders und den drei Ritterherrschaften 
an das Kurfürstentum Bahern. Aus dem Fürst 
bistum Fulda wurde das Fürstentum Fulda. 
1806 nahm der Fürst von Fulda, Erbprinz Wilhelm 
Friedrich von Oranien, als preußischer General an 
dem preußisch-französischen Krieg teil. Sein Land 
wurde bis 1810 als französisches Gouvernement 
von dem französischen Reichsmarschall Mortier ver 
waltet. Das ehemalige Fürstentum Würzburg 
wurde von Bayern abgetrennt und zum Groß- 
herzogtum Würzburg erhoben. (Großherzog Erz 
herzog Ferdinand, Kurfürst von Salzburg.) 
1810 kam das Gouvernement Fulda zum Großherzog 
tum Frankfurt. (Fürstprimas des Rheinbundes, 
der ehemalige Kurfürst Erzbischof von Mainz, 
Karl von Dalberg, wird Großherzog!) 
1814 kommt das Großherzogtum Würzburg an das 1806 
zum Königreich erhobene Bayern. Vom 6.11.1814 
ab steht das Großherzogtum Frankfurt unter ge 
meinsamer preußisch-österreichischer Verwaltung. 
1815 teilen sich im Wiener Kongreß Österreich und 
Preußen in das Großherzogtum Frankfurt derart, 
daß von der Provinz Fulda Hammelburg, Brücke 
nau, Motten und Salmünster, sowie das halbe 
Amt Bieberstein an Qsterreich, — die Ämter 
Fulda, Neuhof, Iohannesberg, Großenlüder, Burg 
haun, Hünfeld, Eiterfeld, Haselstein, Weyhers und 
das halbe Amt Bieberstein an Preußen kommen. 
Die Ämter Geisa und Dermbach (ehemals henne- 
bergischer Besitz) kommen 1815 an das vom Her 
zogtum zum Großherzogtum erhobene Sachsen- 
Weimar, der restliche Hennebergische Besitz zu 
Sachsen-Meiningen. 
1815 Am 15.10. kommen die Gebiete des ehemaligen 
Kreises Fulda, des Kreises Hünfeld und das Amt 
Weyhers von Preußen an Kurhessen. (Das mot- 
tensche Dorf Dalherda und die biebersteinschen 
Dörfer im Mstergrund bleiben noch unter öster 
reichischer Verwaltung!) 
1815 Ende des Jahres gelangt das nunmehrige kurhes 
sische Amt Weyhers mit Ausnahme der Ortsteile 
Melters und Hattenroth im Wege des Austausches 
gegen das Amt Salmünster mit Sannerz (Verbin 
dung der kurhessischen Neuerwerbungen Fulda, 
Psenburg-Birstein, Wächtersbach, Meerholz und 
Langenselbold mit Hanau!) wieder unter öster 
reichische Verwaltung. 
1816 kommt der österreichische Teil des ehemaligen 
Großherzogtums Frankfurt an Bahern. (Also auch 
Hammelburg, Brückenau-Motten, Amt Weyhers 
und das ulstergrundische Bieberstein.) 
So gelangt nach einem geradezu grotesken 13jährigen 
„Bäumchen Wechsel Dich"-Spiel das Gebiet der ehe 
maligen vier Ritterherrschaften (13. Jahrhundert) und 
nachmaligen acht Territorialteile (18. Jahrhundert) un 
ter gemeinsame landesherrliche Gewalt: zunächst Teil 
des Landgerichts und Polizeidistrikts Bischofsheim wird 
es nach der Trennung zwischen Justiz und Verwaltung 
1864 der Bezirk Gersfeld. Das jahrhundertelange geo- 
politische Spiel auf dem Schachbrett der Rhön zwischen 
Würzburg, Fulda und dem Ritterkanton Rhön-Werra 
hat — Zunächst — Bayern gewonnen. 
Noch einmal spielen im deutschen Bruderkampf 1866 
die strategisch wichtigen Vergpässe und die das Nhön- 
gebirge umlaufenden Einfalls- und Durchgangsstraßen 
des Werratales und die Kinzig-Fuldastraße, sowie die 
Mainlinie eine wichtige Rolle. Bahern und Kurhessen 
stehen neben anderen deutschen Staaten mit Qsterreich
	        
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