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bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten einge
denk sein — sie selbst verspürte verhältnismäßig wenig
von dem Geschehen, das die Geschicke ihres Heimatkrei
ses nunmehr an Preußen ketten sollte. Damit fand eine
Entwicklung ihren Abschluß, in der die Bewohner der
Hohen Rhön innerhalb von sieben Jahrzehnten im Nah
men der deutschen Neichswerdung fünfmal, ja ein Teil
sogar zehnmal, unter andere Hoheit gekommen waren.
Das 19. und 20. Jahrhundert.
Auch die Bewohner des Grenzlandes Nhön sollten
zu Beginn des 19. Jahrhunderts das deutsche Schicksal
in unmittelbarer Mannigfaltigkeit erleben.
Im Frieden von Lunöville 1801 mußte das sterbende
deutsche Reich dem siegreichen revolutionären Frankreich
das linke Nheinufer überlassen und sich verpflichten, die
Fürsten innerstaatlich Zu entschädigen. So kam es zum
Reichsdeputationshauptschluß von 1803, nach dem alle
geistliche Landesherrschaften und die reichsunmittel
baren Ritterherrschaften ihre Selbständigkeit verloren
und unter die geschädigten weltlichen Fürsten verteilt
wurden. Zweitausend Quadratmeilen deutschen Bodens
wurden neu vergeben, 112 deutsche Staaten verschwan
den. Drei Jahre später besiegelte der unter Napoleon
gegründete Rheinbund das Schicksal des tausendjährigen
Römischen Reiches deutscher Nation. Die „Pfaffengasse"
des Reiches und die ultramontan eingestellten süddeut
schen Staaten wollte Napoleon benutzen, um das letzte
große deutsche Territorium, Preußen, zu zerschlagen, um
eine Wiedergeburt des Reiches endgültig unmöglich zu
machen- der Freiheitskampf Preußens machte seine
Pläne zunichte. Noch einmal, doch vom Wiener Kon
greß, wurde die Staatenkarte Deutschlands von Grund
aul geändert. Wieder verschwanden Dutzende kleiner
Territorien zu Gunsten größerer Bundesländer des
neuen deutschen Staatenbundes. So schuf das Schicksal
in der tiefsten Not des Reiches Bausteine des zweiten
Reiches.
Welche umfassenden Änderungen die Territorial
gestaltung des deutschen Raumes durch den Neichs-
deputionshauptschluß, die napoleonische Aera und den
Wiener Kongreß in all ihrer Willkürlichkeit und unge
wollten Zweckmäßigkeit erfuhr, ersehen wir in einer bei
spielhaften Vielfältigkeit in unserem Heimatraum, der
Rhön.
In das Gebiet des ehemaligen Kreises Gersfcld teil
ten sich um 1800 das Fürstbistum Fulda mit Teilen der
Ämter Motten, Wyhers und Bieberstein, das Fürsten
tum Würzburg mit dem Amt Hilders, die reichsunmit
telbaren Ritterschaften Gersfeld, Schakau und Tann.
1803 kam infolge des Reichsdeputionshauptschlusses
das Fürstbistum Würzburg als Fürstentum mit
dem Amt Hilders und den drei Ritterherrschaften
an das Kurfürstentum Bahern. Aus dem Fürst
bistum Fulda wurde das Fürstentum Fulda.
1806 nahm der Fürst von Fulda, Erbprinz Wilhelm
Friedrich von Oranien, als preußischer General an
dem preußisch-französischen Krieg teil. Sein Land
wurde bis 1810 als französisches Gouvernement
von dem französischen Reichsmarschall Mortier ver
waltet. Das ehemalige Fürstentum Würzburg
wurde von Bayern abgetrennt und zum Groß-
herzogtum Würzburg erhoben. (Großherzog Erz
herzog Ferdinand, Kurfürst von Salzburg.)
1810 kam das Gouvernement Fulda zum Großherzog
tum Frankfurt. (Fürstprimas des Rheinbundes,
der ehemalige Kurfürst Erzbischof von Mainz,
Karl von Dalberg, wird Großherzog!)
1814 kommt das Großherzogtum Würzburg an das 1806
zum Königreich erhobene Bayern. Vom 6.11.1814
ab steht das Großherzogtum Frankfurt unter ge
meinsamer preußisch-österreichischer Verwaltung.
1815 teilen sich im Wiener Kongreß Österreich und
Preußen in das Großherzogtum Frankfurt derart,
daß von der Provinz Fulda Hammelburg, Brücke
nau, Motten und Salmünster, sowie das halbe
Amt Bieberstein an Qsterreich, — die Ämter
Fulda, Neuhof, Iohannesberg, Großenlüder, Burg
haun, Hünfeld, Eiterfeld, Haselstein, Weyhers und
das halbe Amt Bieberstein an Preußen kommen.
Die Ämter Geisa und Dermbach (ehemals henne-
bergischer Besitz) kommen 1815 an das vom Her
zogtum zum Großherzogtum erhobene Sachsen-
Weimar, der restliche Hennebergische Besitz zu
Sachsen-Meiningen.
1815 Am 15.10. kommen die Gebiete des ehemaligen
Kreises Fulda, des Kreises Hünfeld und das Amt
Weyhers von Preußen an Kurhessen. (Das mot-
tensche Dorf Dalherda und die biebersteinschen
Dörfer im Mstergrund bleiben noch unter öster
reichischer Verwaltung!)
1815 Ende des Jahres gelangt das nunmehrige kurhes
sische Amt Weyhers mit Ausnahme der Ortsteile
Melters und Hattenroth im Wege des Austausches
gegen das Amt Salmünster mit Sannerz (Verbin
dung der kurhessischen Neuerwerbungen Fulda,
Psenburg-Birstein, Wächtersbach, Meerholz und
Langenselbold mit Hanau!) wieder unter öster
reichische Verwaltung.
1816 kommt der österreichische Teil des ehemaligen
Großherzogtums Frankfurt an Bahern. (Also auch
Hammelburg, Brückenau-Motten, Amt Weyhers
und das ulstergrundische Bieberstein.)
So gelangt nach einem geradezu grotesken 13jährigen
„Bäumchen Wechsel Dich"-Spiel das Gebiet der ehe
maligen vier Ritterherrschaften (13. Jahrhundert) und
nachmaligen acht Territorialteile (18. Jahrhundert) un
ter gemeinsame landesherrliche Gewalt: zunächst Teil
des Landgerichts und Polizeidistrikts Bischofsheim wird
es nach der Trennung zwischen Justiz und Verwaltung
1864 der Bezirk Gersfeld. Das jahrhundertelange geo-
politische Spiel auf dem Schachbrett der Rhön zwischen
Würzburg, Fulda und dem Ritterkanton Rhön-Werra
hat — Zunächst — Bayern gewonnen.
Noch einmal spielen im deutschen Bruderkampf 1866
die strategisch wichtigen Vergpässe und die das Nhön-
gebirge umlaufenden Einfalls- und Durchgangsstraßen
des Werratales und die Kinzig-Fuldastraße, sowie die
Mainlinie eine wichtige Rolle. Bahern und Kurhessen
stehen neben anderen deutschen Staaten mit Qsterreich