Full text: Hessenland (49.1938)

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Grenzland Rhön 
in drei Jahrtausenden deutscher Geschichte') 
Von Erwin Bolze 
Deutsche Geschichte ist deutsches Schicksal. Reich 
bewegt flutet das Geschehen durch den vielgestaltigen 
deutschen Raum, reich an Heldentum, reich aber auch an 
tiefer Tragik. An einzelnen Brennpunkten im deutschen 
Raume verdichtet sich das Erleben jahrtausendelangen 
Geschehens, unter ihnen im Kranze der deutschen Mittel 
gebirge die Rhön. 
In dem mehrzügigen Gebirgsstock der Hohen Rhön 
schuf die Natur durch die Wasserscheide zwischen Fulda— 
Werra—Main—Kinzig Landschaften mit natürlichen 
Grenzen: die Bergkessel, Mulden und Talgründe der 
Fulda, Lütter, Haune und Bieber- der Ulster und Felda 
der Streu, Brend und Sinn. Überquert werden die 
Randbergzüge von Bergpässen und eingespannt sind sie 
von den großen Völkerstraßen des Kinzig-Fulda und 
Main-Saale-Werratales. 
Rach der volkbildenden Lebensgesetzlichkeit des natür 
lichen Raumes und der strategisch bedingten Notwendig 
keit des Paßbesitzes mußte die Rhön innerhalb des 
mitteldeutschen als Grenzgebirge gegen den süddeutschen 
Raum ein Sammelpunkt stammes- und staatenbildender 
Kräfte und damit ein Schnittpunkt machtpolitischer Aus 
einandersetzungen werden. Aus dieser Wechselwirkung 
heraus aber mußte auch für die Bewohner des Gebirges 
über das Maß des Gewöhnlichen ein Erleben erwachsen, 
in dem bitterstes Leid und harter Kampf die freudvollen 
Tage ruhigen Lebens überwogen. Grenzlandvolk — 
Grenzlandschicksal! 
Vor- und Frühgeschichte. 
Als sich in der vorgermanischen Zeit aus der Völker 
wiege des nordischen Raumes die arischen Mutterstämme 
in den europäischen Raum ergossen, überlagerte die 
Herrenschicht der Kelten die steinzeitlichen Urstämme 
zwischen Alpen, Rhein, Weser und mitteldeutschem Ge- 
birgsland- als Nachbarn saßen die Illyrer im ostdeut 
schen Raum. Aus dem germanischen Völkerquell des 
westlichen Ostseebeckens nachdrängende Stämme — unter 
ihnen Cherusker, Hermunduren und Kalten — über 
rannten in der frühgermanischen Zeit die Kelten und 
drängten sie nach Südwesten ab. 
Unter den Steinwällen des keltischen Grenzwalles, der 
sich als Sperre vom Harz über Weserbergland, Thü 
ringer- und Böhmerwald hinzog, ragte in der buchoni- 
schen Wildnis der „Rhina" als natürliche Basaltfestung 
die Milseburg empor. Aber auch diese Hauptstütze im 
keltischen Bollwerk gegen den germanischen Volksdruck 
wird überwältigt. Kalten dringen ein in die Rhön- 
l) Vortrag, gehalten aus der Jahreshauptversammlung 
des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde in 
G e r s f e l d/Rhön am 26. August 1938. 
täler, übersteigen die Gebirgspässe, ziehen durch die 
großen Talstraßen in die warme und fruchtbare Wet 
terau, Main- und Rheinebene. 
In dem Jahrhundert vor der Zeitwende begann Rom 
seinen Gegenstoß gegen die nach Westen über den Rhein 
in das keltische Gallien und nach Süden in den Donau 
raum eingedrungenen Germanenstämme. Für zwei Jahr 
hunderte sicherten sich die Römer durch den Limes rechts 
rheinischen und südgermanischen Boden. Die germani 
schen Iungmannschasten waren gezwungen, in inner 
deutschen Stammesgebieten Siedlungsräume zu er 
kämpfen. So stoßen die Hermunduren über den 
Thüringerwald und durch die Werrapforte gegen den 
kattischen Besitz Zwischen Thüringerwald, Rhön und Main 
vor. Ein Flankenstoß mag dabei durch den Ulstergrund 
in den Gersfelder Talkessel geführt worden sein. In er 
bitterten Kämpfen um die Salzquellen der Werra und 
Salza (fränkischen Saale) 59 n. Z. entreißen die Her 
munduren den Kalten das obere Werra-, Saale- und 
Sinntal und drängen sie über die Rhön zurück. Zur Si 
cherung der Gebirgsgrenzen und der Übergänge zum 
Sinn-, Brend-, Streu- und Feldatal besetzen die Her 
munduren den Gersfelder Talkessel und den oberen Ul- 
stergrund- beide Teile bleiben hermundurisches bzw. 
kattisch-hermundurisches Sprachgebiet. 
Um 450 dringen die Franken in das Main- 
gebiet ein, das die Hermunduren 400 Jahre vorher den 
Kalten entrissen und von dem aus sie sich bis in den 
Raum Zwischen Oberpfalz, Spessart und Odenwald fest 
gesetzt hatten. Die Hermunduren oder Thüringer, wie 
sie sich jetzt nennen, werden über den Thüringerwald 
zurückgedrängt, stoßen aber 467 wieder siegreich vor, bis 
sie 491 der fränkische Teilkönig Chlodwig tributpflichtig 
macht. Im Sinntal, Gersselder Kessel und Ulstergrund 
bleiben starke Horte hermundurischer Bevölkerung be 
stehen. Zur Sicherung der Rhönübergänge wird die 
Salzburg als fränkische Königsburg erbaut. 
Aber fast ein Jahrhundert noch dauerte der Kampf 
zwischen Thüringern und Franken, bis sich Theodorich I. 
endgültig im Saalegau durchsetzte und das um Main 
und Thüringerwald gelegene Land dem 531 gebildeten 
Herzogtum O st franken eingliederte. Karl Mar- 
tell erklärte die verbündeten, tributpflichtigen und er 
oberten Landschaften als Königsgut, und so bildete Ost 
franken mit den hermundurischen (thüringischen) und 
kattischen (hessischen) Stammesgebieten unter Karl dem 
Großen nur einen Teil des großen Frankenreiches. 
Eine mehr als tausendjährige Entwicklung germani 
scher Stammes- und Staatengeschichte ist mit der Über 
nahme der Kernprovinz Franken in das erste deutsche 
Reich Heinrichs I. abgeschlossen. In diesem tausend 
jährigen Entwicklungsabschnitt hatten im ehemals kel-
	        
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