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Neubau des Staatsarchivs in Marburg-Lahn
Von Negierungsbauassessor Küllmer (Preußische Staatshochbauverwaltung)
Das Marburger Staatsarchiv verfügt wie kaum ein
Zweites über eine große Zahl von Urkunden und Doku
menten, die für die Geschichtsforschung und Wissenschaft
von unersetzlichem Wert sind. Bisher waren diese ur
kundlichen Sammlungen im Marburger Landgrafenschloß
untergebracht. Dieser Bau, der im Lause der Jahrhun
derte schon den verschiedensten Zwecken gedient hatte,
konnte in keiner Weise den Anforderungen genügen, die
aus Gründen einer sorgsamen und pfleglichen Behand
lung so wertvoller Schätze an ein neuzeitliches Archiv
gestellt werden müssen. Zudem machte sich im Laufe der
letzten Jahre mehr und mehr ein unerträglicher Platz
mangel bemerkbar. So konnten z. B. wertvolle Bestände
nicht aufgenommen und mußten Zerstreut an verschie
denen Orten gelagert werden. Es bestand daher seit
Jahren Klarheit darüber, daß hier nur Abhilfe durch
Errichtung eines Neubaues geschaffen werden konnte, der
in jeglicher Beziehung allen an ein neuzeitliches Archiv
zu stellenden Ansprüchen gerecht wird.
Die Aufstellung eines Bauprogramms, das erstmalig
den neuen Anforderungen an den Archivdienst gerecht
wurde, erfolgte daher im Einvernehmen zwischen dem
Herrn Ministerpräsidenten und dem Herrn Preußischen
Finanzminister. Die Ausarbeitung der neuen Programm
forderungen lag im wesentlichen in der Hand des dama
ligen Generaldirektors der Preußischen Staatsarchive,
Geheimen Regierungsrats Professor Dr. Brackmann und
des Sachbearbeiters in der Hochbauabteilung des Preu
ßischen Finanzministeriums, Ministerialrats Dr. Nonn.
Einen wesentlichen Anteil nahm der inzwischen allzu früh,
kurz vor der Vollendung des Neubaues, verstorbene Ar
chivdirektor Knetsch-Marburg. Nach dem Ausscheiden
von Professor Brackmann trat mit gleichem Eifer und
eindringendem Verständnis Herr Generaldirektor Dr.
Zipfel an seine Stelle. Da der Bau für das historische
Stadtbild Marburgs von großer Bedeutung sein mußte,
war auch der Herr Oberprüsident, Seine Kgl. Hoheit
Philipp Prinz von Hessen, auf das lebhafteste för
dernd interessiert. Die großzügige Bewilligung reichlicher
Mittel durch den Herrn Preußischen Finanzminister
wurde den hier obwaltenden besonderen Bedingungen
in höchst dankenswerter Weise ebenfalls gerecht.
Es ergaben sich zwei Hauptbaugruppen: Die nach
neuen Grundsätzen geforderten Verwaltungsräume mit
Benutzersaal, Hörsaal, Ausstellungsraum, Bücherei und
photographischer Abteilung bilden die eine Gruppe, wäh
rend die eigentlichen Magazinräume mit besonderer An
nahmeabteilung der neueingehenden Bestände, Buch
binderwerkstatt und Packraum die Zweite Gruppe bilden.
Diese beiden Hauptteile sind grundrißlich durch eine
durchgehende Brandmauer, sowie eine dahinter einge
schaltete Feuerschleuse getrennt. In dem gesamten Auf
bau sind jedoch beide Teile zu einer gemeinsamen ar
chitektonischen Einheit verbunden und unter gleicher
Trauf- und Firsthöhe zusammengefaßt. Aus städte
baulichen Gründen ist der an der Wilhelmstraße errich
tete Teil um zwei Geschosse von insgesamt sechs Metern
höhergeführt und bildet so einen besonders vom Schloß
berg her in Erscheinung tretenden Blickpunkt in dem sonst
sehr uneinheitlichen und zerrissenen Ortsbild des Süd
viertels. Dieses wird daher durch den Neubau in will
kommener Weise Zusammengefaßt.
Der besonderen Eigenart des trapezförmigen Bau
platzes zwischen Adolf-Hitler-Platz, Bismarck-, Friedrich-
und Wilhelmstraße folgend, staffelt sich der Grundriß in
zwei Absätzen vom Adolf-Hitler-Platz zur Wilhelm
straße. Diese Staffelung der Baumassen leitet ästhetisch
über zu dem Höhenblick auf den Schloßberg, der sich
durch die beiden vom Adols-Hitler-Platz aus das Ge
bäude begleitenden Straßen ergibt. Diese Rücksichtnahme
auf die eigenartige und große landschaftliche Bedeutung
des Baues ist mit viel Sorgfalt vorher überlegt worden.
Der Bau umschließt einen architektonisch würdig ausge
bildeten Innenhof, in den man durch eine mächtige
Durchfahrt hindurch einen schönen Einblick hat. Der
Hos ist durch einen Zierbrunnen geschmückt. Die Durch
fahrt ist durch ein von Kunstschmied Cornelius, Kassel,
hergestelltes prächtiges schmiedeeisernes Gitter ge
schlossen. Die Fassaden konnten durch die verschiedenen
Gebüudevorsprünge besonders abwechslungsreich geglie
dert werden.
Der Haupteingang des Verwaltungsgebäudes liegt
am Adolf-Hitler-Platz. Durch einen dorischen Säulen
vorbau mit oberem Balkon hat er eine der Würde des
Gebäudes entsprechende Betonung erhalten. Die Be
tonung dieser Hauptseite des Archivs wird un
terstrichen durch die von der Stadt Marburg vor
genommene Umgestaltung des davorliegenden Platzes
im Sinne einer vorbereitenden Anlage. Der Be
sucher betritt vom Eingang her nach Durchschreiten eines
geräumigen Windfanges die von einem großen Oberlicht
her lichtdurchslutete, durch zwei Geschosse gehende Haupt
treppenhalle. Auf drei Seiten wird die in der Mittel
achse angeordnete Haupttreppe von weiträumigen Flu
ren umgeben, an denen sämtliche Räume des Verwal
tungsbaues liegen. Diese zerfallen in die Räume der
eigentlichen Verwaltung, die sich hauptsächlich im Erd
geschoß befinden, und in die den Benutzern zugänglichen
Räume: Benutzersaal, Ubungs- und Hörsaal im ersten
Obergeschoß. Dem inneren Verwaltungsbetriebe dienen
noch ein geräumiger Leseraum im Erdgeschoß, der Re
pertorienraum im ersten Obergeschoß in unmittelbarer
Verbindung mit dem Benutzersaal und die das gesamte
zweite Obergeschoß einnehmende Bücherei. Die erforder
lichen Nebenrüume, wie die vom Pförtnerzimmer aus
leicht zu überwachende Kleiderablage, Waschräume und
Aborte sind an den notwendigen Stellen vorhanden. Im
Sockelgeschoß des Verwaltungsgebäudes befindet sich
außerdem eine neuzeitliche Warmwasserzentralheizung,
ein Luftschutzraum und die sorgfältig eingerichtete Licht
bildabteilung.