Full text: Hessenland (49.1938)

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ist ,,'n Abend!" oder „Nabend!" weit häufiger als das 
einfache „Abend!" Wie hier der letzte Nest des flektierten 
Adjektivs im Anlaut bewahrt ist, so kommt es auch in 
einzelnen deutschen Landschaften vor beim Tischgruß: 
man sagt dann nicht „Mahlzeit!", sondern „die Mahl 
zeit!" — und das sieht nicht anders aus als wie der 
falsch restituierte letzte Nest von „(gesegne)te Mahlzeit!" 
Auch der Ausdruck,die Mahlzeit bieten' könnte immerhin 
aus diesem Stadium der Kürzung stammen. 
Leider bin ich nun nicht in der Lage, bestimmt anzu 
geben, wo mir dies „die Mahlzeit!" begegnet ist: viel 
leicht am Nhein? in Südwestdeutschland? — oder im 
Osten? Ich erinnere mich seiner bestimmt, aber inter 
essant ist es mir erst erschienen, als ich begann, an der 
„gesegneten Mahlzeit" Anstoß zu nehmen, und das ist 
noch nicht lange her. Unsere Wörterbücher haben ja lei 
der bis in die allerjüngste Zeit für derartige Erscheinun 
gen keinen Platz gehabt. 
„Gesegnete Mahlzeit!" scheint, soweit wir es literarisch 
belegen können, ein Ausdruck der gebildeten Kreise, und 
es hat sich in einer Zeit festgesetzt, als man hier begann, 
das längere Tischgebet als unbequem zu empfinden. Es 
ist Ersatz — „Ersatz" im Übeln Sinne, je weiter man sich 
der Gegenwart nähert. 
Im 17. (vielleicht auch schon im 16.?) Jahrhundert 
kam, wohl in protestantischen Kreisen, neben „Gesegnete 
Mahlzeit!" auch „Prosit die Mahlzeit!" auf, das dann 
zu „Prost Mahlzeit!" (in meiner niederhessischen Heimat 
noch heute „Proste Mahlzeit!") verkürzt wurde und nun 
rasch der scherzhaften, ironischen Anwendung anheim 
fiel: vgl. z. B. „Pros't Mahlzeit! da fällt das Ganze 
gleich!" (Wallensteins Lager v. 765). Wieder ein Beleg, 
wieviel rascher der fremdsprachliche Ausdruck entadelt 
wird gegenüber dem altheimischen. 
Dies „Prosit (die) Mahlzeit!" ist nun aber ein deut 
licher Hinweis darauf: 1. daß „gesegnete Mahlzeit!" 
schon vorhanden war, und 2. wie man es damals ge 
deutet hat, als man die lateinische Übersetzung daneben 
stellte: offenbar doch als „Gesegnet sei die Mahlzeit!" 
— Und ich wette, die meisten meiner Leser werden hier 
einfallen und sagen: „Na, natürlich! Was soll es denn 
anders heißen?!" 
So habe auch ich bis vor wenigen Jahren gedacht, 
als mir eines Tages auffiel, daß dieser Gebrauch des 
Partizipiums der Vergangenheit in Gruß und Ausruf 
denn doch etwa sei, was in der deutschen Sprache ohne 
Beispiel dastehe — nämlich vor allem, wenn man sich 
den Wunsch vor Beginn der Mahlzeit ausgesprochen 
denkt. Man kann wohl einem zu Abend eine „wohlzu 
schlafende Nacht" wünschen, vielleicht auch am Morgen 
eine „wohlgeschlafene Nacht", aber man könnte dies un 
möglich in die Grußformel kleiden „Wohlgeschlafene 
Nacht!" — weder vorher noch nachher. Niemand wird 
einem Sieger „Gewonnener Sieg!" oder einem wohl- 
gcprüften Kandidaten „Bestandenes Eramen!" zurufen. 
Dies Partipium ist für den deutschen Sprachgebrauch 
undenkbar — lateinisch wäre es allenfalls möglich, und 
so habe ich anfangs geglaubt, es könnte vielleicht ein 
„Benedicta coena!" der Klostersprache zugrunde liegen. 
Ich kam davon ab und geriet auf den richtigen Weg, 
indem ich die Vermutung aufstellte, daß unser „Gesegnete 
Mahlzeit!" gekürzt und entstellt sei aus „Gott segne die 
Mahlzeit!" Dann wäre das Ge- der letzte Nest des 
durch seine dauernde Unbetontheit dem Untergang ge 
weihten Gott — der weitere Weg von segne die — über: 
segne de — zu: (ge-)segnete bedürfte keiner Begründung 
oder Erklärung. 
Nun ergab aber die Prüfung zahlreicher Segensfor 
meln, mit denen ich mich hier nicht aufhalten will, daß 
in ihnen nicht sowohl das Simpler „segnen" als vielmehr 
das perfektive Kompositum „gesegnen" seinen festen Platz 
hat. Einer um Weihnachten 1545 zu Stralsund ruchbar 
gewordenen Wiedertäufer-Sekte warf man u. A. vor, 
daß sie bei Tische nicht sprächen: „Gott gesegene ju!" 
sondern „Got nere di!" (Ioh. Berckmanns Stralsund. 
Chronik edd. Mohnike-Zober S. 93). Und somit wird auch 
die ursprüngliche Fassung des alten Tischsegens gelautet 
haben: 
„Got gesegene die malzi t!" 
Es lebt mithin in dem Anlaut unserer heutigen, und 
damit der literarisch (soviel ich sehe) allein bezeugten, 
Formel nicht etwa das verstümmelte „Got" fort. Dies ist 
vielmehr vollständig beseitigt, und mit dem Schwinden 
des Subjekts hat sich ein subjektsloser Satz ergeben: „ge- 
segcn die malzit" („gesegene de malzit"), die nunmehr, 
in der gebildeten Sprache, eine Form annahm, die sich 
das Sprachgefühl der Gebildeten vielleicht nach dem 
Muster „Benedicta (sit) coena!" zurechtlegte. 
Ich habe bisher die Frage nicht beantwortet, ja sie 
kaum aufgeworfen: Wohin gehört zeitlich unser Segens 
wunsch? Heute herrscht in diesem Punkte vielfach Unsicher 
heit: man kann ihn vor Beginn oder nach Schluß der 
Mahlzeit hören — wohl auch beidemal. Es unterliegt 
aber keinem Zweifel, daß zu einer Zeit und für eine 
Gesellschaft, welche das Tischgebet vor der Mahlzeit, das 
ja mit dem Danke die Bitte um den göttlichen Segen zu 
verbinden pflegte, selbstverständlich war, der knappe Se 
genswunsch an den Schluß gehörte. Und damit erklärt 
sich auch am ehesten, wie überhaupt die Kürzung, so na 
mentlich die Wandlung des Konjunktivs der Gegenwart: 
„Gott gesegene die Mahlzeit" in das Partizipium der 
Vergangenheit: „Gesegnete Mahlzeit!" 
Der Fachmann wird leicht einsehen, daß sich diese 
meine Erklärung gut eingliedert in die lange Kette der 
Erscheinungen, welche W. Horn zu seinem reichhaltigen 
Buche „Sprachkörper und Sprachfunktion" (1921, 2. Ausl. 
1923) zusammengefügt hat. Er hat S. 18 auch flüchtig 
die „bedeutungsarmen Grußformeln" behandelt, „deren 
Wortkörper verringert wird, weil sein Umfang nicht im 
Einklang steht mit seinem geringen Bedeutungsinhalt". 
Dieses Aufsätzchen ist der im Eingang gekürzte, am 
Schluß erweiterte Wiederabdruck eines Beitrags zu der 
Festschrift des Wiener Akademischen Germanistenvereins 
(„Germanische Forschungen", Wien 1925), der gewiß 
keinem unserer Leser zu Gesicht gekommen ist.
	        
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