Full text: Hessenland (49.1938)

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Die hessischen Hinter Uchte, Freudenberg und Huburg 
Von Zolldirektor i. 
Die Landgrafen von Hessen sind seit Beginn ihrer 
Herrschaft stets bestrebt gewesen, sich einen Weg zur 
Nordseeküste zu verschaffen und zur Erreichung dieses 
Zweckes zunächst einmal die Lehensherrschaft über nieder 
sächsische Grafenhauser zu erwerben. Im 16. Jahrhundert 
kam ihnen dabei zustatten, daß diesen Grafen das vor 
dem Ausgang des schmalkaldischen Krieges eine hervor 
ragende Rolle in Deutschland spielende Hessen einen 
kräftigen Schutz in den vielen Fehden und Kriegen der 
damaligen Zeit versprach. Die Landgrafen erreichten ihr 
Ziel in solchem Umfange, daß Landgraf Wilhelm IV., 
als er einst den König von Dänemark besuchte, von der 
Diemel bis Bremen nur in solchen Orten übernachtete, 
die hessischen Lehensgrafen Zustanden. Beim Aussterben 
einiger dieser Lehensgrafen fielen dann deren Lande an 
Hessen als den Lehensherrn. Auf diesem Wege gelang 
ten auch die Ämter Uchte, Freudenberg und Auburg an 
Hessen. 
Die unmittelbare Veranlassung dazu bot die Hildes 
heimer Fehde, die mehrere Jahre in Norddeutschland 
tobte. Der Bischof Johann von Hildesheim und Herzog 
Heinrich der Ältere von Braunschweig-Lüneburg lagen 
im Streit mit den Herzogen Erich I. von Braunschweig- 
Calenberg und Heinrich dem Jüngeren von Braun- 
schweig-Wolfenbüttel, der nachher Zuerst ein Freund, seit 
Beginn der Reformation aber ein heftiger Feind Land 
graf Philipps des Großmütigen war. Mit diesen beiden 
Vraunschweiger Herzögen verbündet war ihr Bruder, der 
Bischof Franz von Minden. Der Hildesheimer Bischof 
und Heinrich der Ältere hatten im Jahre 1518 im gehei 
men Einverständnis mit König Franz I. von Frankreich, 
der nach der deutschen Kaiserkrone strebte und sich dazu 
einen Weg nach Deutschland schaffen wollte, und im 
Bunde mit den Grafen von Schaumburg, von Hoya, von 
Diepholz und von Lippe, den Bischof von Minden über 
fallen und aus seiner Residenz Minden vertrieben und 
hatten dann die Wolfenbüttelschen und Ealenbergischen 
Lande fast vollständig erobert. Herzog Erichs von Ca 
lenberg Gemahlin Elisabeth, eine geborene Markgräfin 
von Brandenburg, die ihren Wohnsitz in Münden hatte, 
eilte in dieser Not nach Kassel und bat die Regentin, 
die Landgräfin Anna, eine geborene Herzogin von Meck 
lenburg, die Mutter Philipps des Großmütigen, um 
Hilfe, die ihr auch gewährt wurde. Mit Hilfe eines hes 
sischen Unterstützungskorps schlugen nun die Herzöge 
Erich und Heinrich der Jüngere den Bischof von Hildes 
heim zurück und drangen gegen Lüneburg vor. Auf dem 
Wege dahin kam es aber zu Streitigkeiten zwischen den 
Braunschweigern und ihren hessischen Bundesgenossen. 
Die Braunschweiger hatten den hessischen Wappen 
löwen für einen Hund erklärt und die Hessen „Hunde 
hessen" geschimpft. Darüber empört, zog der größte Teil 
der Hessen ab und überließ die Braunschweiger ihrem 
Schicksal, das sie dann auch bald ereilte. Am 23. Juni 
1519, an demselben Tage, an dem Karl von Spanien 
Zum deutschen Kaiser gewählt und damit die Hoffnung 
des Königs von Frankreich Zerstört wurde, erlitten die 
beiden Vraunschweiger Herzöge bei Soltau in der Lü- 
N. W o r i n g e r 
neburger Heide eine völlige Niederlage. Nun schickte 
Landgraf Philipp der Großmütige, der mittlerweile Zur 
Negierung gekommen war, den geschlagenen Herzögen 
abermals Hilfe, die auf Anweisung Kaiser Karls V. 
noch verstärkt wurde. Jetzt wandte sich das Blatt. Die 
Hessen und Braunschweiger eroberten das ganze Stift 
Hildesheim, Herzog Heinrich floh zu seinem Bundesge 
nossen nach Frankreich, der Bischof von Hildesheim 
wurde 1521, so lange hatte sich der Krieg hingezogen, 
auf dem Reichstage zu Worms in die Neichsacht erklärt. 
Damit hatte die Hildesheimer Fehde ein Ende. 
Die Grasen von Hoya und die Grafen von Diepholz, 
Verbündete des Hildesheimer Bischofs, deren Lande 
während des Krieges von den verbündeten Hessen und 
Braunschweigern mehrfach durchzogen und geplündert 
worden waren, zogen aus dem Ausgang des Krieges 
eine Lehre. Sie sahen ein, daß vor gleichen Schicksalen 
sie und ihre Untertanen nur der Anschluß an eine stär 
kere Macht bewahren konnte, und diese Macht war, wie 
der Ausgang des Krieges deutlich gezeigt hatte, Hessen. 
So kam es denn Zu Verhandlungen, deren Endergebnis 
war, daß die Grafen von Hoya ihre Schlösser und 
Ämter Drackenburg, Nienburg und Löwenau, das jetzt 
Lauenau heißt, noch im Jahre 1521 dem Landgrafen von 
Hessen als Lehen auftrugen. Oer Lehensbrief war am 
Sonntag Reminiscere in den heiligen Fasten des Jahres 
1521 ausgestellt und lautete für Graf Jost von Hoya 
und Bruchhausen für sich und seine Brüder Johann und 
Erich über die „frei lediglich aufgetragene und Zum 
Eigentum gemachte Besitzungen Schloß und Stadt Nien 
burg, Schloß und Flecken Löwenau und Dorf Dracken 
burg". Wie nützlich diese Lehensübertragung für die 
Grafen war, Zeigte sich schon im folgenden Jahre (1522). 
Ein Hofdiener Landgraf Philipps, Kurt Rommel, wahr 
scheinlich der Vater des Vüchsenmeisters Hans Rommel, 
der später unter der Regierung und während der Ge 
fangenschaft Philipps eine so wichtige Rolle spielte, war 
wegen einer ihm Zustehenden Schuldsumme in die Graf 
schaft Hoya eingefallen und hatte geplündert. Oie Grafen 
beschwerten sich beim Landgrafen Philipp, der Rommel 
zur Rechenschaft zog. 
Oie Lehensübertragung der drei Schlösser und Ämter 
stieß aber bald auf Schwierigkeiten. Es stellte sich näm 
lich heraus, daß auf die drei mehrerwähnten Lehensstücke 
auch die Vraunschweiger Herzöge Lehensansprüche be 
saßen. Infolgedessen wurde die Vereinbarung von 1522 
wieder aufgehoben und statt der Schlösser und Ämter 
Nienburg, Löwenau und Drackenburg nun am Donners 
tag nach Oculi 1527 die Hoyaschen Ämter Uchte und 
Freudenberg Hessen zu Lehen aufgetragen. 
Schon wenige Jahrzehnte später war mit einer wei 
teren und noch wichtigeren Veränderung zu rechnen. Es 
stand nämlich das Aussterben der Grafenhüuser Hoya 
und Diepholz bevor. In dieser Erwartung schloß Land 
graf Wilhelm IV. am 20. April 1575 mit der Witwe des 
Grafen Eberwein von Bentheim, Anna, einer geborenen 
Gräfin von Tecklenburg, einen dahinlautenden Vertrag, 
daß nach dem tödlichen Abgang der Grafen von Hoya
	        
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