9
Die hessischen Hinter Uchte, Freudenberg und Huburg
Von Zolldirektor i.
Die Landgrafen von Hessen sind seit Beginn ihrer
Herrschaft stets bestrebt gewesen, sich einen Weg zur
Nordseeküste zu verschaffen und zur Erreichung dieses
Zweckes zunächst einmal die Lehensherrschaft über nieder
sächsische Grafenhauser zu erwerben. Im 16. Jahrhundert
kam ihnen dabei zustatten, daß diesen Grafen das vor
dem Ausgang des schmalkaldischen Krieges eine hervor
ragende Rolle in Deutschland spielende Hessen einen
kräftigen Schutz in den vielen Fehden und Kriegen der
damaligen Zeit versprach. Die Landgrafen erreichten ihr
Ziel in solchem Umfange, daß Landgraf Wilhelm IV.,
als er einst den König von Dänemark besuchte, von der
Diemel bis Bremen nur in solchen Orten übernachtete,
die hessischen Lehensgrafen Zustanden. Beim Aussterben
einiger dieser Lehensgrafen fielen dann deren Lande an
Hessen als den Lehensherrn. Auf diesem Wege gelang
ten auch die Ämter Uchte, Freudenberg und Auburg an
Hessen.
Die unmittelbare Veranlassung dazu bot die Hildes
heimer Fehde, die mehrere Jahre in Norddeutschland
tobte. Der Bischof Johann von Hildesheim und Herzog
Heinrich der Ältere von Braunschweig-Lüneburg lagen
im Streit mit den Herzogen Erich I. von Braunschweig-
Calenberg und Heinrich dem Jüngeren von Braun-
schweig-Wolfenbüttel, der nachher Zuerst ein Freund, seit
Beginn der Reformation aber ein heftiger Feind Land
graf Philipps des Großmütigen war. Mit diesen beiden
Vraunschweiger Herzögen verbündet war ihr Bruder, der
Bischof Franz von Minden. Der Hildesheimer Bischof
und Heinrich der Ältere hatten im Jahre 1518 im gehei
men Einverständnis mit König Franz I. von Frankreich,
der nach der deutschen Kaiserkrone strebte und sich dazu
einen Weg nach Deutschland schaffen wollte, und im
Bunde mit den Grafen von Schaumburg, von Hoya, von
Diepholz und von Lippe, den Bischof von Minden über
fallen und aus seiner Residenz Minden vertrieben und
hatten dann die Wolfenbüttelschen und Ealenbergischen
Lande fast vollständig erobert. Herzog Erichs von Ca
lenberg Gemahlin Elisabeth, eine geborene Markgräfin
von Brandenburg, die ihren Wohnsitz in Münden hatte,
eilte in dieser Not nach Kassel und bat die Regentin,
die Landgräfin Anna, eine geborene Herzogin von Meck
lenburg, die Mutter Philipps des Großmütigen, um
Hilfe, die ihr auch gewährt wurde. Mit Hilfe eines hes
sischen Unterstützungskorps schlugen nun die Herzöge
Erich und Heinrich der Jüngere den Bischof von Hildes
heim zurück und drangen gegen Lüneburg vor. Auf dem
Wege dahin kam es aber zu Streitigkeiten zwischen den
Braunschweigern und ihren hessischen Bundesgenossen.
Die Braunschweiger hatten den hessischen Wappen
löwen für einen Hund erklärt und die Hessen „Hunde
hessen" geschimpft. Darüber empört, zog der größte Teil
der Hessen ab und überließ die Braunschweiger ihrem
Schicksal, das sie dann auch bald ereilte. Am 23. Juni
1519, an demselben Tage, an dem Karl von Spanien
Zum deutschen Kaiser gewählt und damit die Hoffnung
des Königs von Frankreich Zerstört wurde, erlitten die
beiden Vraunschweiger Herzöge bei Soltau in der Lü-
N. W o r i n g e r
neburger Heide eine völlige Niederlage. Nun schickte
Landgraf Philipp der Großmütige, der mittlerweile Zur
Negierung gekommen war, den geschlagenen Herzögen
abermals Hilfe, die auf Anweisung Kaiser Karls V.
noch verstärkt wurde. Jetzt wandte sich das Blatt. Die
Hessen und Braunschweiger eroberten das ganze Stift
Hildesheim, Herzog Heinrich floh zu seinem Bundesge
nossen nach Frankreich, der Bischof von Hildesheim
wurde 1521, so lange hatte sich der Krieg hingezogen,
auf dem Reichstage zu Worms in die Neichsacht erklärt.
Damit hatte die Hildesheimer Fehde ein Ende.
Die Grasen von Hoya und die Grafen von Diepholz,
Verbündete des Hildesheimer Bischofs, deren Lande
während des Krieges von den verbündeten Hessen und
Braunschweigern mehrfach durchzogen und geplündert
worden waren, zogen aus dem Ausgang des Krieges
eine Lehre. Sie sahen ein, daß vor gleichen Schicksalen
sie und ihre Untertanen nur der Anschluß an eine stär
kere Macht bewahren konnte, und diese Macht war, wie
der Ausgang des Krieges deutlich gezeigt hatte, Hessen.
So kam es denn Zu Verhandlungen, deren Endergebnis
war, daß die Grafen von Hoya ihre Schlösser und
Ämter Drackenburg, Nienburg und Löwenau, das jetzt
Lauenau heißt, noch im Jahre 1521 dem Landgrafen von
Hessen als Lehen auftrugen. Oer Lehensbrief war am
Sonntag Reminiscere in den heiligen Fasten des Jahres
1521 ausgestellt und lautete für Graf Jost von Hoya
und Bruchhausen für sich und seine Brüder Johann und
Erich über die „frei lediglich aufgetragene und Zum
Eigentum gemachte Besitzungen Schloß und Stadt Nien
burg, Schloß und Flecken Löwenau und Dorf Dracken
burg". Wie nützlich diese Lehensübertragung für die
Grafen war, Zeigte sich schon im folgenden Jahre (1522).
Ein Hofdiener Landgraf Philipps, Kurt Rommel, wahr
scheinlich der Vater des Vüchsenmeisters Hans Rommel,
der später unter der Regierung und während der Ge
fangenschaft Philipps eine so wichtige Rolle spielte, war
wegen einer ihm Zustehenden Schuldsumme in die Graf
schaft Hoya eingefallen und hatte geplündert. Oie Grafen
beschwerten sich beim Landgrafen Philipp, der Rommel
zur Rechenschaft zog.
Oie Lehensübertragung der drei Schlösser und Ämter
stieß aber bald auf Schwierigkeiten. Es stellte sich näm
lich heraus, daß auf die drei mehrerwähnten Lehensstücke
auch die Vraunschweiger Herzöge Lehensansprüche be
saßen. Infolgedessen wurde die Vereinbarung von 1522
wieder aufgehoben und statt der Schlösser und Ämter
Nienburg, Löwenau und Drackenburg nun am Donners
tag nach Oculi 1527 die Hoyaschen Ämter Uchte und
Freudenberg Hessen zu Lehen aufgetragen.
Schon wenige Jahrzehnte später war mit einer wei
teren und noch wichtigeren Veränderung zu rechnen. Es
stand nämlich das Aussterben der Grafenhüuser Hoya
und Diepholz bevor. In dieser Erwartung schloß Land
graf Wilhelm IV. am 20. April 1575 mit der Witwe des
Grafen Eberwein von Bentheim, Anna, einer geborenen
Gräfin von Tecklenburg, einen dahinlautenden Vertrag,
daß nach dem tödlichen Abgang der Grafen von Hoya