Full text: Hessenland (49.1938)

Zum Schluß sei eines höchst volkstümlichen Vogels 
gedacht, dessen Gestalt weniger durch sein selten beach 
tetes Auftreten als auf dem Umweg über die hymnischen 
Lobpreisungen dichterischer Naturverherrlicher Eingang 
in die Vorstellungswelt des Volkes gefunden hat, der 
Nachtigall.. Diese gefeierte Primadonna des be 
schwingten Volkes, die an Orten, die ihr die verlangten 
Lebensbedingungen bieten, wie die Auen der großen 
Ströme, ein ganz gewöhnlicher Vogel ist (auf der 
Nheininsel Kühkopf bei Darmstadt brüten wenigstens 
50 Paare), findet in unserer Landschaft nicht die ihr 
zusagenden Verhältnisse, vor allem reiches und dicht 
verwachsenes Buschwerk an feuchten Orten und auch 
ausgedehnte ebene Flächen, die sie vor hügeligem Ge 
lände entschieden bevorzugt. Trotzdem haben sich von 
Zeit zu Zeit einzelne Stücke bei Marburg gezeigt, ohne 
aber hier zur Brut zu schreiten. Daß der Gesang dieses 
vielgepriesenen Vogels die meisten Menschen, die ihn 
zum erstenmal hören, enttäuscht, sei als eine regelmäßig 
zu machende Erfahrung nur nebenher erwähnt. Der 
lange verstorbene passionierte Vogelpsleger Eduard 
Heppe hatte sich um die Mitte der neunziger Jahre 
zur Aufgabe gemacht, Nachtigall und Spresser (ihren 
östlichen Vetter) hier anzusiedeln, indem er jahrelang 
Brutpaare in seinem Garten an der Lahn in Freivolie 
ren hielt und nach dem Ausfliegen der Jungen freiließ. 
Obwohl er diesem Zweck nicht unbedeutende Mittel 
opferte, erreichte er sein Ziel nicht, offenbar weil die 
oben angedeuteten Bedingungen hier nicht gegeben sind. 
Die Erinnerung an dieses sympathische Unternehmen 
zeigt, wie ein Mann des praktischen Lebens aus reiner 
Liebe zur Natur Opfer für einen idellen Zweck brachte, 
von dessen Erreichung ihm keinerlei materieller Gewinn 
und keine Lorbeeren winkten. Seine Gestalt steht in 
wohltuendem Gegensatz zu der manches Kulturträgers, 
der jedem neuentdeckten gemalten oder gemeißelten 
Schafsgesicht eines unbekannten Meisters die vorgeschrie 
bene Bewunderung spendet, aber die Natur, die große 
Mutter aller Kunst, keines Blickes würdigt. Doch wir 
wijsen, daß auch heute bei uns noch Menschen leben, 
deren Gedanken noch auf andere als festverzinsliche 
Werte gerichtet sind, denen der große Gottesgarten der 
Natur mehr ist, als eine Autorennbahn, und die den tie 
fen Sinn des Wortes begriffen haben, das über dem 
Portal unseres botanischen Instituts in den Stein ge 
graben ist: 
tu minimis Deus maximus. 
Paul Baum und sein hessisches Vermächtnis 
Zu dem Bande Carl Hitzeroth, Paul Baum ein deutscher Maler! ') 
Die Stellung in der mitteldeutschen Landschaft ist Wirkens. Das geistige Bedürfnis ist stets auf Forde 
eine Voraussetzung der hessischen Lebenskraft und bildet rung abgestimmt gewesen. Wenn neue Anschauungen 
solange den Nerv der kulturellen Erfüllung, als man in neu Welten bezwingen wollten, wenn ein neues Ahnen 
Herbstlandschaft in Wilbelmshöhe bei Kassel. Aquarell 
Hessen eine Auseinandersetzung mit dem fordert, was an 
dere Gebiete geschaffen haben. Nicht immer griff Hessen 
ein und stellte seine Macht zur Verfügung, jedoch in seiner 
Stunde findet es stets eine großartige Möglichkeit des 
1) Carl Hitzeroth,PaulVaum ein deutscher Maler,Dresden 1937. 
die alte Form zu sprengen drohte und der Nahmen ein 
gerissen werden mußte, dann war zu Beginn jeder neuen 
Epoche Hessen bereit, Grund und Recht seiner Erhebung 
in großer Art zu vertreten. Es ist die Eigentümlichkeit 
der hessischen Idee, daß sie aufflammt und begeistert,
	        
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