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halb Euer fürstliche Gnaden, wollen Sie des
Landes vertreiben lassen." Die Antwort des Landgrafen
an die Stadt war: „Soll man den Juden die Stadt ver
bieten und das Land dazu." Weitere Stadtratsbeschlüsse
von 1537 wegen der Juden lauten: „Den Juden soll
angesagt werden, daß sie zu Marburg keine Bürger
güter an sich bringen, erblich oder wiederkäuflich kaufen
noch darauf leihen sollen. Die Juden ihrer Partierung
wegen und daß sie sich ihrer Ordnung mit dem Wucher
nicht halten, vorzufordern. Es ist den Juden angesagt,
daß sie sich nicht weiter, als ihre Verschreibung ausweist,
mit Kaufen und Verkaufen halten sollen, wenn nicht,
sollen sie ihrer Strafe gewarten. Den Juden soll nicht
Zugelassen werden, bei den Metzgern Vieh abzustechen."
1525 mußte ein Jude Liebmann auf Befehl Philipps
die Stadt räumen. Aber 1536 wurden er und ein Jude
Gottschalk auf 10 Jahre als Schutzjuden in Marburg
aufgenommen, gegen 10 Gulden jährliches Schutzgeld an
den Landgrafen und 4 Gulden „Pfortengelder" an die
Stadt. Schon im nächsten Jahre mußte der Rat sich mit
Liebmann beschäftigen und ihm den Ankauf eines Hauses
verbieten. 1540 verhandelte der Rat mit ihnen, da eine
Anzahl Bürger ihnen so stark verschuldet war — in den
wenigen Jahren nach ihrer Ausnahme! — daß sie nicht
alles sofort zahlen konnten. Die Juden sollten dem Rat
ein Verzeichnis ihrer Forderungen übergeben. Der Nat
wollte dann bei Philipp vorstellig werden, daß sie noch
einige Zeit in der Stadt blieben, bis sie ihre Forderungen
einkassiert hätten. Dann sollten sie ihre Schutzbriefe
aber unweigerlich an die Stadt zurückgeben. 1541 waren
sie immer noch da und zahlten ihr „Pfortengeld". 1542
erfolgte ein neuer Natsbeschluß gegen sie, sie sollten bin
nen zwei Monaten „die Ordnung halten" oder weichen,
d. h. abziehen.
Ungeheure Not brachte die Zeit des 30jährigen
Krieges für die Stadt Marburg. Nahte sich der
Kriegslärm der Stadt, so flohen große Scharen von
Bauern mit ihrem Vieh in die feste Stadt, mit ihnen
die Juden vom Land. So sind den ganzen Krieg hin
durch Klagen des Unterbürgermeisters an der Tages
ordnung, die eingeschlichenen Bettler und Juden wieder
auszuweisen, so besonders in den letzten schlimmsten
Kriegsjahren von 1646 an. 1647 klagten umgekehrt die
Juden gegen den Nat wegen eines von ihnen 1597 für
300 Gulden gekauften Begräbnisplatzes. Trotzdem ver
lange die Stadt bei jedem Iudenbegräbnis von Erwach
senen zwei und von Kindern einen Goldgulden. Damals
wohnten als offiziell zugelassene Schutzjudenfamilien in
Marburg: Juda, Feubes, Seligmann, Schmul und Low.
Die auswärtigen Juden, z. V. der schwarze Juda und
Schmul aus Rauschenberg müssen monatlich einen spa
nischen Thaler Schutzgeld zahlen. Es wird ihnen aber
anbefohlen, wieder abzuziehen, wenn die Bauern zögen.
Zeitweise müssen sie sogar mit Wache schieben.
1655 verhandelte der Stadtrat wieder einen Antrag,
die während des Krieges eingeschlichenen Juden auszu
weisen und aufs Land zurückzuschicken, besonders den
Juden Itzig, der den Christenweibern mehrfach unsittliche
Antrüge gestellt habe. Der Rat beantragte bei der Ne
gierung peinliches Gericht über Itzig und Ausweisung
der Juden aus der Stadt 1657 saßen aber noch fünf
Juden in Marburg: Schmul und Frädche, seine Frau,
Jakob und Täubche, seine Dienstmagd, Isaak David, der
Schulmeister, und sein Vetter Herz sowie Seligmann. An
Namen ihrer Kinder kommen neben jüdischen wie Isaak,
Salomon, Sarah und Rebekka auch Rösche und Vögelche
vor. 1700 werden vier Juden als Beiwohner gezählt,
1718 waren es schon sechs Familien.
Die Zeit des Absolutismus ließ der Stadt
verwaltung weniger Raum, eigne Iudenpolitik zu trei
ben und die Zeit des siebenjährigen Krie
ges brachte mit den französischen Heeren, die oft in
Marburg lagen, auch wieder mehr Juden als Marketen
der und Heereslieferanten in die Stadt. Gegen die war
natürlich nichts zu machen. Aber 1758 lehnte der Rat
die Bitte eines Juden, ihn über das Lauberfest (Laub
hüttenfest) mit seiner Frau in der Stadt zu lassen und
sie dauernd als Schutzjuden aufzunehmen, ab. Er hatte
seine Bitte damit begründet, daß keine Pferdesachverstän
digen in Marburg seien. Gleichzeitig wurde eine Jüdin
binnen acht Tagen ausgewiesen, weil sie sich ohne Schutz
brief und Toleranzschreiben mit ihm im Hessen-Darm
städtischen hatte kopulieren lassen.
Wie die Zeit der Fremdherrschaft eine
Masse Juden, meist aus Hessen-Darmstadt, nach Mar
burg gebracht hatte, war schon oben gesagt. 1810 mußten
sich alle in ein Synagogenregister eintragen und die,
welche noch keinen bürgerlichen Familiennamen hatten,
einen solchen annehmen. 18 15 wurde mit der Säu
berung der Stadt von den zugezogenen unerwünschten
Elementen begonnen. Die k u r f ü r st l i ch e Regie
rung verfügte die Entfernung des Rabbiners Moses
Gosen, da er sich in Marburg eingeschlichen und neben
seinem Rabbineramte Geschäfte, Fruchthandel und
Pfandleihe betrieben habe. Das war den Rabbinern
streng verboten und seine eigenen Glaubensgenossen,
Marburger Schutzjuden, hatten sich gegen seine Kon
kurrenz beschwert. Er war auch politisch verdächtig,
wahrscheinlich wegen Verbindung mit der französischen
Geheimpolizei, und kam unter Polizeiaufsicht. Von 1820
an versuchten wieder häufiger Juden Zugang in Mar
burg zu erhalten. Besonders häufig Judenmüdchen aus
Hessen-Darmstadt, die der Polizei teilweise als Besuch,
teilweise als Ersatz für weggezogene jüdische Dienstboten
gemeldet wurden. Oft wurde als Grund angegeben, daß
die Frau eines Juden schwächlich oder kränklich sei. Es
wurde aber meist nur Aufenthaltserlaubnis aus begrenzte
Zeit erteilt und der Nachweis verlangt, daß die betref
fende Familie kein inländisches jüdisches Dienstmädchen
habe bekommen können. 1827 hatte Marburg 6900
arische und 50 jüdische Einwohner. Bei der großen Ar
mut der Stadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
konnte es vorkommen, daß ein Jude aufgenommen wurde,
der sich bereiterklärte, der Stadt auf 10 Jahre 500 Gul
den zu 4 ^ zu leihen. In der Zeit der politischen Nevo-
lutionskämpfe in Marburg erfolgte auch eine Anzeige
gegen den jüdischen Kaufmann Menke Eichelberg, er
habe auf sein Haus in der Ritterstraße eine Windfahne
in der Gestalt eines Freischärlers mit Heckerhut, eine
Fahne in der Hand, das ganze rot angestrichen, setzen
lassen. Bei seiner Vernehmung schob er die Schuld auf
den Schlossermeister Laubscheer, er selbst habe weder
Figur noch Fahne gesehen. Da Eichelberg notorisch zur
Umsturzpartei gehörte, verurteilte die Polizei ihn zu drei