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Frankreich, die im Jahre 1463 starb, war tatsächlich die
einzige Frau Frankreichs, die sich als Besitzerin Zweier
Hemden rühmen konnte.
Erst der Eingang neuer Moden, die Niesenkragen und
die Taschentücher, damals noch Faziletlein genannt, tru
gen wesentlich zu einem erhöhten Leinenverbrauch bei.
Die sogen. Neformationsordnungen aus dem Fahre
1534 lassen erkennen, daß der Handel aufblühte. Zum
ersten Mal wird ein Gesetz herausgegeben, das verlangte,
das das auszuführende Leinen mit einem Siegel ver
sehen sein mußte.
Im 16. Fahrhundert dehnte Landgraf Wilhelm IV.
die Leineweberzünfte auf das Land aus. Und es ent
wickelten sich die sogen. Amtszünfte. Alle Leineweber auf
dem platten Lande wurden davon erfaßt, sie standen aber
unter Führung der Städte. Um diese Zeit wollte gern ein
Alsselder Webermeister das Verlagssystem, wie es in
Süddeutschland bei den Fugger herrschte einführen, aber
Landgraf Philipp der Großmütige verbot dieses Han
delssystem. Ihm war ja bewußt, daß sich in Oberdeutsch
land ein derartig starkes Proletariat nur hatte bilden
können, dank diesem Verlagssystem.
In Fulda stand um das Fahr 1556 die Leineweberei
in hoher Blüte. Dort zählte man 21 Meister. Die Zunft
besaß ihre Handwerkslade und sogar eine Fahne. Aus
den Jahren 1610—1723 ist das Protokollbuch der Ful
daer-Leincweberzunft noch erhalten. Es wurde mit großer
Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt geführt. Ein Schultheiß
und vier Meister standen an der Spitze der Zunft. Sie mußten
im Beruf außerordentlich tüchtig sein und des Schreibens
kundig. Sie besaßen auch das Recht über die andern
Mitglieder zu Gericht zu sitzen. Diejenigen, die zu den
Sitzungen nicht erschienen, mußten 5y 2 , Pfennig Strafe
zahlen- in derselben Höhe mußten auch die, die
bei den Gerichtssitzungen Schöffen waren, zahlen, wenn
sie unentschuldigt fehlten. Die Zunftmitglieder waren in
zwei Klassen eingeteilt: in vollberechtigte und in Schutz
genossen. Wie bei allen Zünften wurde streng auf ehrlich
Abkunft gesehen, die Schäfer-, Müller-, Abdecker- und
Henkersöhne waren als Zunftmitglieder ausgeschlossen.
Vorgesehen waren zwei Lehrjahre. Jeder Meister durfte
nur einen Lehrling halten und es wurde besonders be
stimmt, daß ein Meister das „Brot nicht vor dem Lehr
ling fortschließe, sondern ihm nach Notdurft zu essen
gäbe". In der Zunftstube wurden die Lehrlinge „los,
frei und ledig" gesprochen und in das Gesellenbuch ein
getragen und ihnen der Lehrbrief überreicht. Ein Fest-
schmaus beendete die Gesellenprüfung. Und dann begann
die Wanderschaft.
Im Jahre 1645 schlossen sich in Fulda die Leine
webergesellen zu einer eigenen Zunft zusammen. Wie die
Meister hielten sie an den Pfingsttagen ihre Hauptzu
sammenkünfte ab. Ein Gesellenmeister zahlte 8 Pfennig
in die Gesellade, ein Knappe und Lehrbursche dagegen 4
Pfennig. Nach der Ablieferung des Gesellenstückes wur
den die Gesellen dann feierlich zum Meister gesprochen.
Die Zunft besaß auch außerordentliche Mitglieder, die
mit Garn und Leinen Handel trieben, die aber keinen
Webstuhl aufstellen durften.
Aus späteren Zeiten erfährt man, daß im Hochstift
Fulda um das Fahr 1794 im Winter Männer und Wei
ber, Alt und Jung spannen und webten. Man zählte
über 11 000 Webstühle. In einem Amt, der Name wurde
nicht angeführt, standen allein 2600 Webstühle.
In der Gegend von Fulda arbeitete man teils ein
faches Leinen zu Kleidern, aber auch blau und weiß ge
streiften Orell und viele andere Arten. Jedoch auch fei
neres Tafeltuch sowie ganz geringe Ware wurde her
gestellt. In Fulda und Hünfeld lagen große Bleichen.
In der dortigen Gegend wurde der Flachs roh in
sogenannten „Globen" verkauft. Eine Globe hielt 15
Kanten, eine Kante war ungefähr sechs Hände voll.
Eine Globe Flachs von der Breche kostete 3 bis 4 Gul
den.
Auch in der Stadt und im Amt Hünfeld wurde in
>eder Hütte, auf jedem Hof gesponnen und gewebt.
Neben der Landwirtschaft war es der Haupterwerbs
zweig. Wer nicht für den Verkauf arbeitete, webte zum
eigenen Bedarf. In Hünfeld gab es gegen Ende des
18. Jahrhunderts 61 Leineweber in der Zunft. Alle an
dern Zünfte waren bedeutend kleiner.
Unter den hessischen Leineweberzünften war die
Nothenburger sicherlich die bedeutendste. Ihre Zunft
ordnung wurde für ganz Hessen maßgebend. Aus den
ersten Jahrhunderten werden uns keine Zahlen genannt,
erst um 1700 herum hört man, daß es im Amt Rothen
burg 750 Webermeister gab, die nach 16 Jahren schon
auf 1533 angewachsen waren. Es beschäftigten sich da
mals allein 2250 Familien mit der Webearbeit.
Das Amt Hersfeld stand dem nicht nach. Dort gab
es im Fahre 1686 schon 1533 Weber, während in Mel
sungen 680 lebten und in Spangenberg im Fahre 1724
an 72 Leineweber gezählt wurden. Wie verbreitet in
Hessen die Leineweberei war, wiesen die Statistiken des
18. Jahrhunderts nach, denn es waren annähernd 13 000
Landsleute, die in die amerikanischen Freiheitskriege
zogen, unter ihnen waren mindestens 8 bis 9000 Leine
weber.
Gegen das Jahr 1619 war die hessische Leinentuch-
und Garnausfuhr schon so gestiegen, daß man Verord
nungen gegen den Schmuggel erlassen mußte. Und bald
darauf erhielten auch Haspel und Leinen ihre ordnungs
mäßige Breite und Länge. Und seit dieser Zeit ziehen sich
wie ein roter Faden die Bestimmungen über Flachs und
Leinen durch die Landesverordnungen. Bald betreffen
sie die Spinner, bald die Weber, bald das Garn, bald
das Leinen, bald die Einkäufer, bald die Verkäufer.
Welchen Einfluß der große Krieg auf das Leinc-
weberhandwerk ausübte, beweisen wiederum Zahlen. In
den Jahren 1636 bis 1643 gingen die Homberger Weber
von 90 Personen aus 12 zurück.
Im Jahre 1645 erschienen neue Tarordnungen, die den
Preis einer Elle flächsernes Tuch auf 2 Albus festsetzte
und für eine Elle grobes Leinens bezahlte man 18 Hel
ler. Oer Spinnlohn ohne Kost betrug 1 Albus 4 Heller
in der Woche.
Daß die Leineweber auch in der Stadt Kassel in ziem
licher Anzahl gewesen sein müssen, lassen die Verord
nungen erkennen. Aus dem Jahre 1654 gibt es einen
Erlaß gegen Feld- und Gartenbeschüdigungen, die beim
Trocknen der langen Leinenstreifen entstanden- Es heißt
darin, daß die Hecken oft mutwillig zerstört wurden. Es
gab Geldstrafen, Hast im Turm oder die Übeltäter soll
ten im Schandkorb sitzen.