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wichtig sind dann die Angaben über Wert und Ertrag
der Grundstücke (Aussaat und Ernte) sowie über die
Rechtsstellung der Grundstücke- erwähnt sei auch die
Grenzbeschreibung der Gemarkung- Zehntverhältnisse,
Abgabewesen, Dienste, Leibeigenschaft, eine Darlegung
des Gerichts-, Zoll-, Akzise- und Steuerwesens bilden
den Abschluß.
So bedeutet dieses Urkataster, das Lager-, Stück-
und Steuerbuch, wie sein amtlicher Titel lautet, für den
Zeitpunkt seiner Aufstellung einen vollständigen Quer
schnitt aus der Geschichte eines Dorfes und seiner Be
wohner, besonders gerade aus dem alltäglichen Leben
und von dem allgemeinen Lebenszustand des Volkes.
Es wird somit auch die Grundlage und die wichtigste
Quelle für jede Dorfchronik. Hiermit ist sein Wert für
die Geschichtsforschung aber bei weitem nicht erschöpft.
Was uns gerade besonders interessiert, ist seine Bedeu
tung auch für die Erkenntnis historischer Entwick
lung vor und nach der Zeit seiner Entstehung. Wir
werden im Folgenden weniger fertige Forschungsergeb
nisse zu dieser Frage vorlegen, als uns auf die Andeu
tung der Probleme beschränken müssen, für deren Be
arbeitung eine methodische Auswertung des Katasters
lohnenden Ertrag verspricht.
Zunächst ist uns mit der Fortschreibung des
Katasters die Möglichkeit gegeben, die Besitzverhältnisse
von Hof und Feld genau zu verfolgen bis zum Anschluß
an das junge kurhessische Kataster aus der Mitte des
l9. Jahrhunderts und von dort bis zum jetzt noch gülti
gen preußischen Kataster nach 1866. Jeder Besitzerwechsel
eines Hofes ist, oft mit der Jahresangabe, vermerkt, mag
der Sohn dem Vater gefolgt oder der Hos in fremde
Hände übergegangen sein. In Verbindung mit dem
Kirchenbuch ist so die Voraussetzung für die Beantwor
tung der Frage nach dem Sitz einer bäuerlichen Familie
auf demselben Hofe in ununterbrochener Vlutfolge ge
geben. Zahlreiche Ehrungen hessischer Bauern sind auf
die Eintragungen unseres Katasters gegründet. Und für
das Studium der Bevölkerungsbewegung, von Zuzug
und Einheirat von außen, des Verbleibs jüngerer
Bauernsöhne, der Gründung neuer Hofstellen, der Ver
schiebung des Verhältnisses zwischen großen Bauern
höfen und kleinen Kotten, für die die Landwirtschaft nur
Nebenbetrieb bedeutet, sind die Fortschreibungen eine
reiche Fundgrube- die Neugründung eines gewerblichen
Betriebes, etwa einer Sägemühle oder eines Eisenham
mers, später Straßenbau und Eisenbahnbau finden sofort
im Kataster ihren Niederschlag durch die Ansiedlung
zuziehender Arbeitskräfte. Wie sich solche Verschiebungen
auf Dorf- und Hofbild auswirken, dafür einige Bei
spiele.
Wir vergleichen die Oorflage von Cyriax
weimar (Kreis M a r b u r g) nach einer Flurkarte von
1717 H (Karte 1a) mit der nach einer Karte aus dem
Jahre 1847 3 ) Karte Id). Oie ältere zeigt uns den
Grundbestand von drei großen Höfen, dazu einen kleinen
Kotten auf wüstem Gemeindeland. Innerhalb der 130
4) In Besitz des Instituts für geschichtliche Landeskunde von
Hessen und Nassau in Marburg.
3) Staatsarchiv Marburg, Kartensammlung A 143.
Jahre sind zwei neue Siedlungsgruppen kleiner An
wesen von zehn bzw. fünf Haushalten dazugekommen -
der wüste Gemeindebesitz ist inzwischen also ausgesiedelt
worden- die andere Gruppe steht offenbar auf Nodungs
land. Neuparzellierungen auf Kosten der alten Höfe sind
zu beobachten- die drei Hofstätten selbst sind, zum Teil
unter starker Veränderung des Hofgrundrisses, umge
baut- das Wegenetz deckt sich nicht ganz. Das Kataster
nennt außer den Ackermännern an vertretenen Berufen
Hirte und Schäfer, Schneider, Tagelöhner und Weiß-
binder. Das sind die Spuren einer allmählichen Wand
lung im Dorfbild, in der Bevölkerung und sozialen
Schichtung innerhalb von 130 Jahren, die bereits eine
ganze Reihe von Fragen nach den wirksamen Kräften
auswerfen.
Oie Verzeichnung des Besitzerwechsels, nicht nur bei
einer Hofstütte, sondern auch bei jeder einzelnen Parzelle,
bietet die Möglichkeit, die Verteilung des Grundbesitzes
von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf den heuti
gen Tag im einzelnen festzustellen und zu vergleichen.
Hierzu seien zwei Beispeile angeführt, die eine entgegen
gesetzte Entwicklung zeigen. Einer der alten Höfe von
Cyriaxweimar (Hof 1 der Karten Nr. 1) war im
Besitz des Deutschen Ordens. Die bei Aufstellung des
Katasters von 1747 zugehörigen Grundstücke sind im
wesentlichen fest bei dem Hofe geblieben- der Besitzstand
weist gegenüber dem jüngeren keine großen Veränderun
gen auf- sein Zusammenhalt lag durchaus im Interesse
des Deutschen Ordens. Derartige Beispiele lassen sich
aus anderen Gemeinden häufen, sowohl aus Oberhessen
wie aus dem z. T. niedersüchsischen Niederhessen, wo sich
Realteilung neben Anerbcnrecht findet 6 ), und der Nach
weis der Beständigkeit in den Besitzverhültnissen ist durch
die Erbhossorschung immer wieder zu führen, namentlich
bei größeren Höfen.
Und nun ein Gegenbeispiel. Es wurde die Götzen-
m ü h l e in der Gemeinde Lohra (Kreis Mar
burg) näher untersucht. Der zugehörige Grundbesitz bei
Anlage des Katasters im Jahre 1746 wurde verglichen
mit dem Stande vor und nach der im Jahre 1930 durch-
6) Vgl. die Karte bei Holzapfel in: Gering, die Vererbung
des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen, IV. Ober
landesgerichtsbezirk Cassel. 1899.