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Zeitschrift für Landes- und VvIkskunde,WchichteLunstundöchrtsttum8eijens
Herausgegeben mit dem Arbeitsring für hessische Heimatforschung an der Universität Marburg von Dr. C. H i tzer o th
Enthaltend zugleich die „Mitteilungen" des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde.
46. Mrgang. Seit 9/i« Marburg, September/Sktvber 1935.
Lindewerra, das Stockmacherdorf. V°n Edward Schröder.
Wer auch immer von unsern Lesern einmal
den Haustein, die stolzeste der Werrabnrgen, be
sucht hat, wird die kurze Wanderung südwärts
über den Höheberg zur Teufelskanzel kaum ge
scheut haben, um die einzig schöne Aussicht zu ge
nießen, die jedem unvergeßlich bleiben muß, weil
sie gleich reizvoll im Vordergrund wie in der Weite
wirkt. Sie hat sich auch offenbar einem unserer
feinsinnigsten Erzähler eingeprägt: Theodor Storm,
der bekanntlich, aus seiner holsteinischen Heimat
vertrieben, acht Jahre (1856—1864) als Kreis
richter in Heiligenstadt gelebt und hier neben
andern seine Novelle „Eine ^Malerarbeit" geschrie
ben hat: ihr Schauplatz ist eben die Teufelökanzel.
Hat man beim Betreten der Felsengruppe zu
nächst den Blick in die Ferne, nach Westen und
Süden, schweifen lassen, zu der langen Kette der
hessischen Bergwälder, die der NIeißner beherr
schend abschließt, so ruht das Auge ans auf dem
Talbild zu unsern Füßen: hier schlägt die Werra
einen mächtigen Bogen, und an seinem obern, süd
lichen Arm eingebettet liegt Lindewerra, das
Stockmacherdorf, dem heute eine kurze Betrach
tung gewidmet fein mag. Sie ist veranlaßt durch
ein kleines, höchst lehrreiches Schriftchen, das so
eben die „Schriftenreihe des Hochschulkreises Nie
dersachsen" eröffnet: „Die Stockmacherei als
Hausgewerbe nn Werra-Leine-Gebiet mit vier
Bildern" (Verlag der Göttinger Studentenschaft);
zwei unserer Studenten, Kurt Pieper und Adolf
Rühe, haben eö auf Grund von Studien und
Erkundigungen an Ort nnd Stelle geschrieben:
angeregt von ihrem Lehrer, dem Professor der
Völkerkunde Hans Plischke, der die Wissenschaft
von den Naturvölkern ferner Weltteile in erfreu
licher Weise mit der Volkskunde des Heimat
bodens verbindet. Für mich selbst ist dieses Heft
der Anlaß gewesen, nach langen Jahren dem
früher weltabgelegenen und nur auf unbequemen
Wegen erreichbaren, jetzt aber durch eine steinerne
Brücke mit Oberrieden und seinem Bahnhof
stromabwärts gegenüber verbundenen Ort einmal
wieder einen Besuch abzustatten. Ich kann also
von dem erfreulichen Eindruck des Dorfes und sei
nem eigenartigen Gewerbe auch aus frischer eige
ner Anschauung berichten.
„Lindewerra", wie es heute heißt, „Lindene-
werde" d. i. der Ort an dem mit Linden bestande
nen Flußnfer, hat mit seiner modernen Namens
form in kurioser Weise auf „Buchenewerde" ge
wirkt, das, an einer Krümmung der Fulda unter
halb Melsungen gelegen, heute sinnlos „Büchen
werra" heißt. Schon diese drollige Patenschaft
könnte uns locken, das heute nominell eichsfeldische,
weil zum Kreise Heiligenstadt gehörige Dorf in
den geschichtlichen Rahmen unserer hessischen
Heimat einzubeziehen. Lindewerra gehört gewiß
der gleichen Siedlungöperode wie Büchenwerra
an, dessen Existenz schon für die Karolingeczeit
bezeugt ist, tritt aber freilich in Urkunden erst
viel später hervor. In den Jahren 1299
nnd 1300 übergaben der Graf Otto von Lauter
berg und die Edelherren von Plefse, Gott
schalk Vater und Sohn, ihre Anteile und damit
wohl das ganze Dorf dem Deutschen Orden in
Mmrburg (Wyß, Urkundenbuch der Deutsch-
ordenö-Ballei Hessen Bd. I Nr. 644/45, Bd. II
Nr. 21), von diesem aber erwarben es durch Tausch
schon im Jahre 1317 vier Brüder von Dörnberg
(Ebda Bd. II Nr. 311), aus einem Geschlechte,
das an der untern Werra ( in den Kreisen Esch-
wege und Witzenhausen) auch weiterhin begütert
blieb und mit Lindewerra dem Lehnsverband