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Konditorei am Steinweg und läßt sich ein Stück
Apfeltorte geben, sieht aber plötzlich prächtige ge
füllte Kreppeln auf dem Ladentisch stehen. „Fräu-
leinchen, kann ich nicht lieber statt der Torte eine
Kreppel haben?" — „Gewiß, Herr Häser." Er
verspeist sie mit Behagen und schreitet dann
würdevoll zur Tür. Das Fräulein ruft ihm nach:
„Herr Häser, Sie haben ja die Kreppel noch nicht
bezahlt!" — „TLas, bezahlt? Dafür habe ich
Ihnen doch die Apfeltorte zurückgegeben!" -—
„Ja, die haben Sie aber doch auch nicht bezahlt."
— „Natürlich nicht, die hab' ich doch auch gar
nicht gegessen!" Beim Bäcker Bottenhorn in der
Mittelgasse — Häser wohnte damals im „Sack"
— hatte er auch eine lange Rechnung stehen. Der
Meister steht grad vor seinem Haus, als Häser
mit dem Generalintendanten von Berlin vorbei
kommt. Er nimmt sich vor, dem Künstler einen
Streich zu spielen und ruft über die Straße hin
über: „Herr Häser, wie wird das eigentlich mit
meinen zehn Talern?", worauf Häser seelenruhig
erwidert: „Och, darüber machen Sie sich keine
Gedanken, dafür lasse ich Brot holen."
Am i. November konnte der 72jährige auf
eine ununterbrochene 30jährige Tätigkeit an der
Kasseler Hofbühne zurückblicken, und Intendant
Freiherr von und zu Gilsa, der aus diesem Anlaß
eine „Karl Häser'sche Stiftung" ins Leben rief,
die dem Künstler einen sorgenfreien Lebensabend
sichern sollte, erwirkte ihm beim alten Kaiser Wil
helm ein Geschenk von tausend Mark. In ge
radezu ritterlicher Weise trat Baron Gilsa hier
für seinen Künstler ein, wenn er nach Berlin be
richtete: „Trotz manchen Familiensorgen hat sich
Häser von jeher bis zur Stunde als eines der eif
rigsten, pflichttreuesten Mitglieder des hiesigen
Theaters erwiesen und sich in seiner Stellung
nicht nur die vollste Zufriedenheit seiner Vorge
setzten, sondern auch die Achtung und Verehrung
aller Theatermitglieder und der gesamten hie
sigen Einwohnerschaft im buchstäblichsten Sinne
des Wortes erworben und bewahrt. Ja, man
kann, ohne zu übertreiben, sagen: der alte Häser
— so wird er hier genannt — ist einer der weni
gen Menschen, die keine Feinde, sondern nur
Freunde haben, die allerorts gern gesehen und
wohl gelitten sind. Er ist eine jener merkwürdigen
Künstlererscheinungen, die sich tief in die Herzen
ihrer Mitbürger hineingespielt haben, eine jener
seltenen populären Existenzen, die mit der Chronik
der Stadt verwoben find und denen ein Gedenk
blatt in ihr für alle Zeiten sicher ist."
Es läßt sich denken, daß die theaterfreudigen
Kafselaner ihren Häser an seinem Ehrenabend mit
Huldigungen überschütteten. Er spielte den
Schnepper in Görners „Nichte und Tante" und
dann eine seiner, von keinem anderen Darsteller
erreichten Glanzrollen, den unverwüstlichen
Wichfier Strobel im „Bemoosten Haupt" von
Benedix unter den nicht endenden Beifallsstürmen
des vollbesetzten Hauses. Zum Schluß begrüßten
Z00 Sänger, Mitglieder von 14 Kasseler Ge
sangvereinen (Häser selbst gehörte der Liedertafel
und dem Mannergesangverein an) den Jubilar
auf der zum Wald umgewandelten Bühne mit
dem Vortrag seines unsterblichen Waldliedes. So
war dieser Abend eine glanzvolle Anerkennung des
Schauspielers und Komponisten zugleich.
Noch weitere 3% Jahre füllte Häser seinen
Platz im Schau- und Lustspiel aus. Am 16.
April 1887 raffte ein sanfter Tod den 78jährigen
hinweg, der zwei Tage zuvor noch den Hortenfio
in der „Regimentstochter" gespielt hatte r— auch
eine Rolle, deren Komik kein anderer so wie er er
schöpft hatte. „Das muß ein Ende haben", hatte
er damals, von Sorgen bedrängt, geschrieben, aber
sie haben ihn bis an das Grab begleitet. Ein alter
Mann ist stets ein König Lear. Fünf Kinder und
die Gattin waren ihm im Tode vorangegangen,
der einzige, noch lebende Sohn unter Zurücklas
sung von Frau und Kindern nach Berlin verzogen,
die älteste Tochter nach Amerika ausgewandert,
während die jüngste dem verwitweten Vater das
Hauswesen führte. Sie war nicht imstande, ihn
bestatten zu lassen, und so mußte zunächst das
Theater die Sorge für die Beerdigung überneh
men. Dieses Leichenbegängnis gab noch einmal
Zeugnis von der beispiellosen Popularität des
würdigen Veteranen deutscher Schauspielkunst.
Tausende und Abertausende gaben ihm das Ge
leit in dem Bewußtsein, daß mit diesem Alraune
ein gut Stück Alt-Kassel zu Grabe getragen
wurde, und die Presse lieh dem Empfinden der
Gesamtheit noch einmal überzeugenden Ausdruck,
wenn sie schrieb: „Nun ist der Ouell seiner Lieder
versiegt, die Kraft seines künstlerischen Schaffens
erloschen, womit er Tausende erfreut und erhoben,
sein Name aber wird unter uns und in der Ge
schichte der deutschen Kunst fortleben, so lange
noch ein frisches, freies deutsches Lied von Deut
schen gesungen wird."
Wenn die Stadt Kassel hoffentlich recht bald
einmal daran denkt, im Interesse der Heimai-
kultur die Zahl ihrer Gedenktafeln zu verdrei
fachen, so soll man sich an Häserö Sterbehaus
(Gardeducorpsstraße 3) auch der Dankbarkeit er
innern, die zwei Kasseler Generationen diesem
schlickten und großen Künstler schuldeten.
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