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geistigen Anspruch, der sich der politischen Er
wägung beugen mußte. Der vom sächsischen Kur
fürsten konstruierte Rechtsanspruch auf Schütz als
einen geborenen Kursachsen beleuchtet zur Genüge
die Mittel, derer sich der Kurfürst bediente. Der
letzte Versuch des Landgrafen, Schütz im Jahre
1619 nach dem Tode von Georg Otto zurückzu
gewinnen, wird ebenso fadenscheinig vom Kurfür
sten abgewiesen mit dem Hinweis auf die bevor
stehende Heirat von Heinrich Schütz, der nun
selbst seinen Schwiegereltern gelobt hätte, in
Dresden zu bleiben.
Schütz war der Spielball Dieser Auseinander
setzungen. Wie er sich innerlich verhielt, wissen
wir nicht. Daß ihn jedoch der Dresdener Hof
lockte und locken mußte, ist sicher. Aber auch in
diesem Ereignis seines Lebens erblickt er später
eine „Fügung des allmächtigen Gottes" und wir
können daraus entnehmen, wie sehr er die Tren
nung vom Landgrafen als bedeutsamen Einschnitt
in seinem Lebensgange und in der Entwicklung
seines Künstlertums empfand. —
Landgraf 3Cst 0 rrtz der Gelehrte
hat als Fürst von einem zumal für feine Zeit
einzigartigem Gepräge, als ein Fürst von um
fassender Bildung, schöpferisch in Wissenschaft
und Kunst, von hohem herrscherlichem Sinn, der
alle Gebiete des Lebens zu meistern verstand, po
litisch und kriegerisch weitblickender als man ge
meinhin annimmt, — und trotz aller dieser
Fähigkeiten dennoch ein Scheiternder, — dieser
Fürst hat von jeher den Blick der Nachwelt auf
sich gezogen. Es kann uns in diesem Zusammen
hange nicht genügen, neben seine Leistungen in
Wissenschaft, Kunst, Politik, Theologie usw. sein
Mnsikertum zu stellen oder nur feststellend die
Tat zu setzen, der wir einen unserer größten Mu
siker danken. Daß er selbst Musiker war, vermag
diese Tat wohl von außen als die eines Musik-
verständigen und fürstlichen Musikliebhabers zu
erhellen. Das ist aber nicht ihr tieferer Ginn —
sie ist der Ausdruck umfassenderer Kräfte, die im
Landgrafen wirkten. Der Landgraf Moritz war
ebensowenig nur „Liebhaber" der Musik, wie er
nicht nur „Liebhaber" der Künste und Wissen
schaften, nicht nur „Liebhaber" des Fürstentums,
der Politik, des Staates, oder gar der Kriegs
kunst, des Friedens, der Arbeit, seines Landes war
— auch wenn es noch so sehr scheinen möchte.
Sondern es ist der Trieb und das Streben zu
umfassender Durchdringung und Beherrschung
des Lebens und all seiner Gebiete und in diesem
Streben wirkt eine alte mächtige Idee nach: die
Idee einer geschlossenen Erfassung und einheit
lichen Prägung des Lebens und seiner Gestaltung
— und dies in einer Welt, die in ihrem Gefüge
zu brechen begann und der Verwirklichung dieser
Idee widerstand. Die Gestalt des Landgrafen —
in ihr weht noch ein allerletzter Hauch des alten
Rittertums — in einer Zeit, die dessen hohen
Werte nur in der Entartung kannte und bis zur
Entstellung verwandelt hatte. Schon Kaiser
^Maximilian, den man den letzten Ritter nennt,
hatte das erfahren.
Einst war zur Zeit der hohenjbaufischen Kaiser
das Rittertum aufgestiegen als neue gesell-
schafts- und stanoesbildende Macht. Der Dienst
ves schwer gerüsteten Reiters forderte die Ver-
zwecklichnng VeS Waffenhandwerkes. Aber nicht die
Waffe selbst gewann an Wert, sondern in Waf-
fenübnng und Waffenhandwerk verkörperte sich
die Idee eines neuen, herrscherlichen Streitertumö.
Der Kampf war heilig — daß er Gebet sein
konnte, davon zeugt die Kreuzzugsidee, die wie ein
Brand die Herzen dieses Jahrhunderts ent
flammte. Das Schwert öffnete nicht nur das
Tor irdischer Unsterblichkeit und Ruhmesehre,
sondern auch daö Tor des Himmels. Die Idee,
von dem dies Kämpfertnm erfüllt war, war so
stark, daß sie über die Pflege der TLaffenkunst
weit hinausreichte. Sie formte das ganze Leben
und erhob es zu einer Würde besonderer Art.
Das Handwerk suchte höhere Erfüllungen.
Kampf ist hier Schutz der Wahrheit und der
Schuldlosigkeit. Er ist Vorrecht und TOürde mw
zugleich das Symbol höchster geistiger Verant
wortung; und so geht es ihm auch um den gei
stigen Besitz. Die ritterliche Idee zeugt
nicht nur Formen, die das Leben in seinem äuße
ren Ablauf gestalten, sondern daö Rittertum wird
zugleich der Träger einer mächtigen hohen künst
lerischen Kultur, die nach innen wirkt und die
tieferen Kräfte des Menschen ergreift. Das ge
formte und gefügte, die Gesamtheit umfassende,
ritterlich-höfische Leben zeugt eine Kunst, die eö
verherrlicht und zugleich weiter formt. Es bindet
das Leben in seiner Gesamtheit an die Kunst,
findet in ihr ihren höchsten Ausdruck. Sinn und
Art dieser Kunst beruht in einem für uns kaum
mehr faßbaren ursprünglichen Zusammen- und
Jneinanderwirken aller zeugerischen Lebenskräfte.
In ihr gibt es nichts Teilbares, nichts Einzelnes.
Dieses Kultur- und Lebensbewußtsein ist zu
Zeiten des Landgrafen Moritz gestorben. Den
noch müssen wir an die Art dieses Bewußtseins
denken, wenn wir den großen Willen, der im
Landgrafen lebte, begreifen und richtig würdigen
wollen. Es ist nur ein schwacher Abglanz; aber