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Ein Beitrag zur hessischen Geschichtsschreibung.
Ein Versuch, sie zu beleben, im Dreißigjährigen
Krieg.
Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt
übertraf seinen Vater Ludwig V. noch an ernster
Liebe zu den Wissenschaften. Schon sehr früh
ging er daran, eine Geschichte seines Hauses und
des Hessenlandes entstehen zu lassen, er begann
alle Urkunden über seine Familie zu sammeln
und sorgfältig aufzubewahren und wurde in die
sem Bestreben von einer Reihe tüchtiger Rate,
die sich alle in der Bedeutung der schriftlichen
Unterlagen für laufende und zukünftige Staats
gelegenheiten einig waren, takräflig unterstützt.
Als Erbe feines Vaters hatte der junge Land
graf auch den Streit um den Marburger Teil
der alten Landgrafschaft Hessen übernommen.
Obwohl er kurz nach Antritt seiner Regierung
mit Hessen-Kassel einen Vergleich schloß (1627),
erkannte er gar bald, daß das unter den durch
den 30jährigen Krieg geschaffenen Verhältnissen
kein endgültiges Beilegen der alten Streitigkeit
sein konnte. Bald sah er sich gezwungen, nach
gelehrten Männern sich umzusehen, die imstande
waren, seinen Ansprüchen durch großangelegte
Beweisschriften Nachdruck zu verleihen, und un
erläßlich erschien diesem tüchtigen Landesfürsten
auch eine umfafsende Geschichte seines Hauses und
seines Landes. Die Geschichte des Hessen- darm
städtischen Landes war durch den Erbstreit mit
Hesten-Kastel verflochtener und interessanter ge
worden und bald fanden sich auch Gelehrte, die
sich mit ihr beschäftigen wollten x ).
Aus seiner Sammlung der Hausurkunden
unterstützte Georg II. schon früh den Geschichts
schreiber der Reformationökriege, Friedrich Hort
leder 1 2 ) zu üßetmar. 1628 berief dann der Land
graf den berühmten Sammler und Herausgeber
der Reichssatzugen, Melchior Goldast 3 ), nach
Gießen, dessen Bleibens aber nicht lange war;
er leistete einer Berufung als Kanzler nach Bücke
burg Folge; der trotzdem fortgesetzten Arbeit an
dem hessischen Geschichtswerk setzte der Tod ein
baldiges Ende.
In den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts, in
der Zeit, da Hessen am schwersten unter den
Kriegswirren zu leiden hatte, ruhte diese Tätig-
1) Dergl. Wenck,Heff. Landesgejch. I. XXXIII ff. u. Diehl,
Arch.f. Hess. Gesch. u. F. 23 ., 25 ff.
2) Dgl. Mg. Deutsche Biographie Bd. XIII S. 165 ff.
3) Dgl. Mg. Deutsche Biographie Bd. IX G. 327 ff.
Von Fr. W ilhelm Schäfer, Langen.
keit fast ganz, 1639 hören wir wieder von einem
Versuch, die hessische Geschichtschreibung zu be
leben. Im Staaatöarchiv Darmstadt (Abt. IV,
Geschichtsschreiber, Konv. 1) ist uns ein Brief
des hessischen Kanzlers Anton Wolff von To-
denwarth erhalten, worin dieser die Sache wie
der aufzunehmen bittet.
Landgraf Georg II. hatte im Jahre zuvor den
verdienten Kanzler zur Ruhe gesetzt, mit Rücksicht
auf Anton Wolffs Krankheit, wie angegeben
wurde, in Wirklichkeit aber wäre der ehrgeizige
Mann wohl niemals freiwillig gegangen. Jahre
lang war er der mächtigste Mann in Heffen-
Dnrmstadt gewesen. Und man kann nicht sa
gen, daß er seine Dienste umsonst geleistet hätte;
viele Belohnungen und Geschenke Georgs II. an
seinen Kanzler beweisen es uns. Dies erreichte
seinen Höhepunkt, nachdem eö dem Kanzler ge
lungen war, mit Sachsen und Brandenburg zu
sammen mit dem Kaiser den Prager Separat
frieden zustandezubringen. Eine Fülle von Gunst
bezeigungen ergoß sich über Anton 2 Dolff von
Todenwart. Dies zog ihm den Neid und Haß
aller Räte und Adeligen am hessischen Hofe zu.
Der vorher noch so umschmeichelte Kanzler und
Statthalter der Marburgischen Lande stand
plötzlich allein, die Beamten und Stände arbei
teten zu dem Sturze des verhaßten, mächtigen
und rücksichtslosen Mannes zusammen.
Landgraf Georg II., der sich der Verdienste
Anton Wolffs für fein Land wohl erinnerte,
konnte sich nach langem Widerstand den Vor
stellungen und der Beweisfiihrnng seiner Stände
und seiner Räte nicht mehr verschließen, suchte
jedoch dem Kanzler den Abgang so leicht und
schonungslos zu gestalten als möglich.
Anton Wolff von Toöenwarth hatte, sicherlich
nur in dem Bestreben, sich ständig in Erinnerung
zu halten, oft beim Landgrafen über die Last der
Geschäfte geklagt und Krankheit vorschützend, um
seine Entlassung nachgesucht, Georg II. hatte je
doch nie etwas davon wissen wollen.
Daran erinnerte er sich nun und schrieb dem
Kanzler in einem längeren Schreiben, er könne
es nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren,
daß er ihn, der sich auf den zahlreichen, im In
teresse des Landes und des Friedens für das
deutsche Vaterland ausgeführten Reisen aufge
opfert und seine Gesundheit hingegeben habe, nicht
länger um die wohlverdiente Ruhe bringen dürfe,
deshalb entbinde er ihn, den Kanzler, seiner