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Verteidigung geleistet werden konnte. Später wurden
dann diese Burgbauten erweitert, neben den Bergfried
traten Wohn- und Wirtschaftsgebäude, aber immer
noch mußte man in erster Linie an die Verteidigung,
erst dann an die Wohnlichkeit denken. Die Sitze in den
Fensternischen waren wohl kaum hier wegen der schönen
Aussicht, sondern wegen des Lichtes angelegt. Bei
schlechtem Wetter oder Kälte verschlossen hölzerne Lä
den auch diese Luken und im Innern der Räume trat
der Kienspan in seine Rechte. Oie Wände wurden mit
Fellen bekleidet, was sie wohnlicher machte, manchmal
auch nur des besseren Lichtes wegen geweißt. Rach
und nach entwickelte sich eine erträgliche Wohnkultur
und der Nachlaß des Ritters Reinhard von Dalwigk,
der 1461 aus der Weidelsburg starb und um dessen
Vcrlassenschaft ein Prozeß begann, war schon von ganz
außerordentlicher Reichhaltigkeit. Redner, der diesen
Nachlaß an Hand der Prozeßakten zeichnete, bemerkte
allerdings ausdrücklich dazu, daß es sich hier um einen
besonders reichen Ritter gehandelt hat, hatte er doch
auf der Weidelsburg meist 2 bis 3 Edelleute und min
destens 20 reisige Knechte als ständige Besatzung in
seinem Solde. Immerhin waren die Möbel noch pri
mitiv genug: schwere Tische, Bänke und Schemel und
Lehnsessel, letztere nur für den Hausherrn, die Hausfrau
und angesehene Gäste, in den Schlafräumen Kasten
oder später auch Gurtbetten, dazu Truhen als Aufbe
wahrungsort für Wäsche und Kleider oder als Sitzge
legenheiten. In den Küchen viel Tongeschirr, eiserne
Töpfe und Pfannen, ja auf der Weidelsburg war auch
noch ei'rie Badewanne vorhanden.
Was das Leben auf den Burgen aber noch besonders
unangenehm machte, war das enge Beieinanderwohnen
oft mehrerer Familien, die nicht imnier Frieden mitein
ander hielten. So befanden sich 1324 auf dem Hau
stein allein 17 Feuerstellen, während in älterer Zeit die
Feuerstellen sogar in einem Küchenraume lagen over ge
meinsam benutzt werden mußten. Um die Ordnung
unter solchen Verhältnissen aufrecht zu erhalten, schloß
man besondere „Burgfrieden", und irn Schlosse zu
Braunfels zeigt noch eine Tafel mit einer abgehauenen
Hand die Strafe für dessen Brecher.
Woringcr ließ dann den Werktag auf einer solchen
Burg an unserem geistigen Auge vorüberziehen, begon
nen von dem Wächterrufe, der den Tag verkündete, und
an welchen noch das Kirchenlied mit dem Beginne:
„Wachet auf, ruft uns die Stimme des Wächters von
der hohen Zinne" erinnert. Da begann die Handwerks
arbeit im Wirtschaftshofe, in der Küche, der Brauerei,
auf dem Alker in der Nähe der Burg, ivährend der
Burgherr zur Jagd oder auf eine Nachbarburg ritt.
Bis daun mit sinkender Dunkelheit die Arbeit noch in
des Hauses Räumen fortgesetzt ward, doch nicht mehr
lange, da die künstliche Beleuchtung mmderwerng ge
nug war. Wir sahen auch die Festtage der Burgbe-
wohuer, die Turniere in den Städten, wo sich die Rit
terschaft eines größeren Gebietes zun, Kampfspiele ver
einigte, wobei eg glücklicher Weise nicht immer so blu
tig herging wie bei jenem Turner zu Oarmstadt, von
welchem man sang:
„Zu Oarmstadt in den Schranken
Blieben neun Hessen und siebzehn Franken."
Zu diesen Festen, die besonders in den Vorfasteu statt
fanden, kamen auch die Frauen und Jungfrauen reich
geschinückt, wie bei einem Turnier zu Göttingen, wo der
Adel aus dem südlichen Brauiischweig, deni Eichsfelde
und Hessen sich traf und von dem eine Chronik recht
drastisch zu erzählen weiß.
Mehrere Umstände wirkte» nun zusammen, daß mit
der Wende des iZ. Jahrhunderts das Leben auf den
Burgen zu erlöschen begann. Der Adel zog sich mehr
und mehr in die Nähe der fürstlichen Höfe, bezog
städtische Wohnungen, wo die Gefahren geringer und die
Annehmlichkeiten größer waren. Ein Brief Ulrichs von
Hutten an seinen Freund Pirkheimer zu Nürnberg ist
für jene Stimmung charakteristisch. Dieser hatte Hut
ten geraten, als freier Mann auf seiner Burg zu blei
ben, Hutten aber zeichnet nun den Raummangel der
Burgbewohner auf der Eteckelburg, dem Schlosse seiner
Väter, den Lärm, den Hunde, Rindvieh, Schafe und
Schweine verursachen, weiter die Unsicherheit, da mau
sich kaum hundert Schritte unbewaffnet von der Burg
entfernen kann. Und in die Nacht tönt das Heulen der
Wölfe aus den nahen Wäldern. — So zog denn ein
Ritter nach dem andern aus der Burg seiner Väter, sie
wurde wüst, zerfiel mehr und mehr und ward vielfach
ein Steinbruch für die Bauern der Umgegend.
Aber immerhin haben die Burgen vier bis fünf Jahr
hunderte ihren Bewohnern gedient und es ist schwer,
daraus ein einheitliches Bild des Lebens auf den Burgen
zu zeichnen. Trotzdem bot Vortragender ein volles und
schönes Gemäldes dieses Daseins, und reicher Beifall
der etwa 200 Zuhörer drückte den Dank der Versamni-
lung aus.
Der wissenschaftliche Unterhaltungöabenv am 30. Jan.
1933 wurde eröffnet durch den zweiten Vorsitzenden,
Zolldirektor Woringer, der zunächst dem viel
zu frühe verewigten Dr. Rudolf Hallo einen warmen
Nachruf widmete.
Dann erhielt Studienrat Dr. Schmitt das Wort zu
einem Vortrage über die Anfänge der Bürgergarde in
Kastei. Bis zur französischen Fremdherrschaft hatte die
Kasseler Schützengesellschaft bestanden, im Königreich
Westphalen wurde dann nach Pariser Vorbild eine Na
tionalgarde zu 8 Kompagnien zu 150 Mann gebildet,
die auch den Sturz des Königreiches noch überlebte und
die Ordnung bis zur Rückkehr des Kurfürsten aufrecht
erhielt. Dann trat durch Verordnung vom 2. Oktober
1813 wieder ein Schützenbataillon und eine Schwadron
zusammen, welche Formation bis 1828 bestand, aucy
wenn ein rascher Verfall von Disziplin und Diensteifer
zu beobachten war. Zuletzt sank diese Schützengesell-
schaft auf die Stufe einer fast rein geselligen Vereini
gung zurück. Bei einem Brande im Juli 1830 taten
aber noch Angehörige dieses Schützenbataillons Dienst
in einem Brandpikctt und im September bei dem
Bäckerkrawall vom 6. bildete sich neu ein bürgerliches
Wachtkorps, das dann schnell weiter gebildet wurde.
O b e r st l e u t n a n t von Schlemmer, Vorstand
der Moutieruugsabteilung des kurfürstlichen Heeres,
übernahm das Kommando des aus 4 Kompagnien ge
bildeten Bataillons. Am 16. Oktober kam cs zu einem
Zwischenfalle beim Zusammentritt der Landstände. Bald
wurde durch den Kurfürsten die Bürgergarde allgemein
genehmigt und in Kassel zu einem Regiment in Stärke
von 2 Bataillonen zu je 4 Kompagnien nebst einer
Schwadron aufgestellt. Im Dezember paradierte die
Truppe vor dem Kurfürsten und eine Fülle literarischer
Dokumente sprach für die Begeisterung der Bürgerschaft
für die bewaffnete bürgerliche Nkacht. Bekleidung uuv
Bewaffnungen wurden nur teilweise von den Mitglie
dern selbst bezahlt, den Hauptanteil der Kosten über-
nahm die Stadt mit rund 21 000 Talern, die durch eine
Anleihe aufgebracht wurden. Am 9. Januar 1831
wurde die Äürgergarde auf dem Königsplatze auf die