fasser, der übrigens 1908 schon eine von Wenck aner
kennend besprochene Geschichte seines Kirchspiels
Netra schrieb, legt mit Recht den Hauptnachdruck sei
ner Darstellung auf die wirtschaftliche und soziale Ent
wicklung des Dorfes, (ui diesem Lebeiiskrei'g ist tat
sächlich jedes Dorf ein Spiegel der allgemeinen deut
schen Entwicklung, während die Berührung durch die
Ereignisse der politischen Geschichte mehr oder minder
zufällig ist. Besonders wertvoll ist der Versuch, im
Schlußabschnitt eine Geschichte der einzelnen Höfe und
Häuser zu geben. Hier wird der Dorfbewohner ein
drucksvoll daran erinnert, daß er der Träger einer gro
ßen Tradition, dag Glied in der Kette der Generatio
nen ist, welche das Dorf als Keimzelle des deutschen
Volkes ausmachen. Erstaunlich die Fülle der Nach
richten zur Familienkunde, die durch sorgfältige Heran
ziehung der einschlägigen handschriftlichen Quellen und
des Schrifttums gewonnen stnd. Es versteht sich, daß
darüber hinaus auch die öffentlichen Verhältnisse der
Gemeinde, die Geschichte der Kirche, Schnle u. a. ge
bührend berücksichtigt worden stnd.
Der Verfasser hat mit pädagogischem Takt durch
Erläuterungen die nicht immer ohne weiteres faßbaren
Zustünde der oorliberalen Zeit dem Verständnis der
Landleute nahegebracht. Sein Buch wünsche ich als
Wegweiser in die Hand der hoffentlich zahlreichen Er
zieher des Landvolks, Pfarrer wie Lehrer, die mit
ebensoviel Liebe die Geschichte ihrer Dörfer schreiben
wollen. Darüber hinaus ist die Topographie der ein
zelnen Höfe und Häuser auch ein beachtenswerter Bei
trag. zur deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Marburg (Lahn). Ludwig Zimmerinauu.
W a l d und W eidwerk in Geschichte und
Gegenwart. Von Dr. R. B. Hilf, Staatsober-
förster in Reichensachsen und F. Röhrig, Universitäts
oberförster in Greifswald-Eldena. Peis pro Lieferung
R./A 2.00. Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion
m. b. H. Potsdam. Lfg. 1—7.
Die seit einigen Monaten erscheinende,
umfassende und wissenschaftlich wertvolle Geschichte
der Jagd und des Waldes, die von den Stein
kohlenforsten grauer Vorzeit bis zum Plenterwald un
serer Tage, vom fanstkcilbewehrten Urmenschen bis zum
sportstüchtigen modernen Jäger reicht, will über die
engeren Fachkreise hinaus besondere Aufmerksamkeit bei
allen deutschen Jägern und Freunden der Natur er
wecken. In „Wald und Weidwerk in Geschichte und
Gegenwart" haben zwei praktisch und wissenschaftlich
tätige Dberförster, F. Röhrig und Dr. R. B. Hilf, die
Ergebnisse neuester wald- und jagdgeschichtlicher For
schung gesammelt und mit zahlreichen Bildern anschau
lich gemacht. Die Akademische DcrlagSgesellschaft
Athenaion Potsdam hat dem Buch die ihrer Tradition
entsprechende schöne und reiche Ausstattung gegeben.
Das ungemein wichtige und in jeder Hinsicht erfreu
liche Werk der beiden Oberförster Dr. Richard Hilf
und Fritz Röhrig ist bereits bis zur stebcntcu Lieferung
gediehen. Wie wenige Bücher kommt es einem wirk
lichen Bedarf entgegen, denn eine derartige Geschichte
der Jagd und des Waldes besteht bis heute nicht. Fer
ner aber bietet cs für jeden, der irgendwie mit dem
Walde und dem Weidwerk verhaftet ist, soviel des
Wissenswerten, Schönen und Interessanten daß man
diesem prächtigen Werk nur weiteste Verbreitung in
allen Volkskreisen wünschen kann. Allein das Bild
material vermittelt einen kulturgeschichtlichen Überblick
seltener Art. Oie Entwicklungsgeschichte des Waldes
feit der Urzeit ist da in aufschlußreichen Bilddokumcn-
ten festgehalten, und zugleich spiegeln sich Mensch und
Tierwelt der verschiedenen Zeiten. Wichtige Abschnitte
und ebensolche Bilder geben allein die Entwicklungs
geschichte des zur Jagd geeigneten Hundes, weitere Ka
pitel eine solche des Jägertums, des Jagdrechtes, der
Jagdarten und Waffen. — In den neuesten Heften
behandelt Röhrig das Weidwerk zur Zeit des Fürsten
tums, der Herrengewalt des 17. und 18. Jahrhunderts.
Ein fast überreiches, aber trefflich geformtes und zur
bildhaften Darstellung gebrachtes Material wird vor
dem Leser ausgebreitet. Erwähnt man nur die Jagd-
arteu mit ihren heute ganz ungebräuchliche» Formen,
etwa das sogenannte „Große Hauptjagen", bei dem
Strecken bis zu 5000 Stück gemacht wurden — eine
uns heute unbegreiflich erscheinende Barbarei — so er
hellt bereits daraus, wie weitreichend das Gebiet des
Buches und wie fesselnd der Stoff gestaltet ist. Das
Gleiche läßt sich von Hilfg Arbeit sagen. Die wissen
schaftlich bestens begründeten Ausführungen geben in
der neuesten Lieferung die Entwicklung des deutschen
wie insgesamt des mitteleuropäischen Waldeg seit der
Eiszeit oder richtiger seit den verschiedenen Eiszeiten
und den Anfang der menschlichen Einflußnahme auf
den Wald. Dieses Stück wichtigster Forstgeschichte
wird jedem Forstmann einen Begriff von dem Cha
rakter des Werkes geben, das als grundlegende und
umfafjende Darstellung des Waldes unentbehrlich in
allen Fachkreisen sein wird. Daß jedoch bei aller
Wissenschaftlichkeit die Lesbarkeit nicht leidet, daß
vielmehr im Gegenteil der Stoff für jedermann denkbar
aufschlußreich und interessant dargeboten wird, ist der
nicht hoch genug einzuschätzende Vorzug des nützlichen
und schönen Werkes.
Geert Seelig: Ein Heidelberger Bursch
vor 50 Jahren. Verlag: Johs. Hörning G. m.
b. H. Heidelberg, geb. 5.80.
Das Buch erzählt von deutschen Studenten, schleö-
wig-holstein'scher Juristerei und Soldatentum in Ber
lin im Bismarck'schen Reich und ist mit 8 Bildtafeln
und 5 Strichzeichnungen im Text geschmückt. Oer Ver
fasser gibt in lebendiger Darstellung die Erinnerungen
seines Lebens, die symptomatische Bedeutung für jene
Zeit hatten. Auch die persönlichen Erlebnisse, haben
etwas von allgemeiner Bedeutung, wodurch sich ihre
Mitteilung von selbst rechtfertigt. Der Verfasser, ein
Kieler Professoren-Sohn (jetzt Rechtsanwalt in Ham
burg) bezieht 1882 die Universität Heidelberg und wird
dort bei dem Korps Vandalia aktiv. Das Korpslcben
jener Ze't, Studentenschaft, Professoren, Philister, Ori
ginale Heidelbergs, Karzer und Studentenulk, Mensur
und Kneipen, gesellschaftliches Leben, Ernstes und Hei
teres erstehen in gleicher Weise vor unserem Auge.
Eine Welt, die längst vergessen ist, taucht vor unserem
Auge auf. Sie fejtzuhalten war der Mühe wert,
freil.ch, nicht alle werden die Schattenseiten dieses Le
bens so konsequent übersehen, wie es der Verfasser tut:
sie war so eng, daß sie auf die Dauer kaum bestehen
konnte. Dag hat die Geschichte bewiesen und dag
wußten auch vor Jahrzehnten schon viele. Diese durch
Romantik verklärte Abschließung vom wirklichen Le
ben, wie sie in den damaligen Heidelberger Korps ge
übt wurde, deren Exklusivität bekannt war, mußte ein
Zwischenspiel bleiben. In der Erinnerung für den
Mithandelnden von großem Reiz, für andere ein kul
turhistorisches Dokument, dessen Zeitwirkungen nicht
übersehen werden dürfen. Dies Leben war in der Tat
ein bezeichnendes Kulturdokument jener Jahre des neuen
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