70
Gott gebe mir, worauf ich freudig hoffe, im künftigen
Jahre wieder so glückliche Tage in Weimar, als sie mir
dieses Jahr geschenkt wurden!
Wie wichtig, belehrend und lieb sind mir auch viele
schöne Abende in Belvedere geworden, durch die wohl
wollenden Mittheilungen unseres hochgeschätzten Herrn
Hofrath Meyer, dem ich mich herzlichst verpflichtet
fühle, und sehr oft schon eine rechte Sehnsucht nach
seinen Gesprächen gehabt habe.
Möge der liebe Gott die Ihrigen alle in Seinen
sicheren Schutz nehmen und Ihnen recht innige Freuden
an denselben bescheren! Ihrer Frau Schwiegertochter
empfehle ich mich gehorsamst und kann zugleich, in Be
zug auf die Latrobe'schen Compositionen versprechen,
daß ich Mehreres mitbringen werde.
Leben Sie wohl! Oer Herr segne und behüte Sie!
Ja, das bitte ich von Gott!
Mit unbegrenzter Verehrung und der treuesten Liebe
verharre ich für immer als
Ewr. Excellenz
gehorsamster
treuergebenster G. von Reutern.
M S. Meine Adresse ist: über Riga nach Lemsal in
Lievland.
Lemsal in Lievland den tyiStm Dezember 18,30.
Etwa einviertel Jahr später, während Reutern
noch in Livland weilte, entschloß sich Goethe zu der
gewünschten Inschrift. Ursprünglich hatte er die
Absicht, sie durch einen Kalligraphen eintragen zu
lassen, aber Eckermann riet ihm davon ab. Am
6. April finden wir in Goethes Tagebuch: „In
schrift auf die von Reuternsche Tafel." Die Verse,
die Goethe am 22. April 1831 Reutern durch
Radowiß mit einem Schreiben zugehen ließ, lauten:
„Gebildetes fürwahr genug!
Bedürft es noch der Worte?
Wir sehn des lieben Lebens Zug,
Durch Stunden schleichts und Orte.
Die hohe Gabe preisen wir,
Oie grausam Unheil steuert.
Auf Weg und Stegen Blumenzier
Dem holden Freund erneuert.
Doch jedes Auge, wie es blickt.
Wird in Bewundrung steigen:
Oer Geist, erhoben und beglückt,
In stiller Freude schweigen!"
Die vorstehenden Verse wurden zum ersten Mal
in der Taschenausgabe letzter Hand mit folgender
Unterschrift gedruckt:
Inschrift
auf eine von vorzüglichen Miniatur-Bildern
umgebene Tafel, Lebensereignifse und Zustände
eines werten Freundes, Baron von Reutern, vor
stellend, von demselben mit größtem Talent und
bewunderungswürdiger Sorgfalt ausgeführt.
April 1831.
Ebenda finden sich auch die Begleitworte, die
Goethe beim Absenden jenem Blatte nachrief:
„Wort und Bilder, Bild und Worte
Locken euch von Ort zu Orte,
lind die liebe Phantasey
Fühlt sich hundertfältig frey!"
Die Arabeske aber sandte Goethe erst am
11. Juli 1831 unmittelbar nach Willingshausen
an Frau Charlotte von Reutern, die sich schon bei
Frau Ottilie Goethe nach dem Verbleib erkundigt
hatte, mit folgendem, von seiner Hand unterzeich
neten Schreiben zurück Z: „Teuerste, gnädige
Frau! Das an meine gute Schwiegertochter er
lassene vertrauliche Schreiben hat mich tief im
Innersten geschmerzt. Indessen ich, von Tag zu
Tag, hoffte, Ihren Herrn Gemahl bey mir zu
sehen, so muß ich erfahren, daß er in einer so be
denklichen, für seine Anverwandten und Freunde
höchst bänglichen Lage sich befindet. Ein Mann,
der wegen seiner Eigenschaften und Vorzüglichkei
ten das beste Geschick verdient, der von mir von
jeher so viel Vertrauen geschenkt und für den meine
Hochachtung immer wachsen mußte!
Wir haben für ihn, sowie, mehr oder weniger,
für uns Alle mit frommer Zuversicht zu bedenken:
daß jenes allgemeine Bedrohliche, welches über der
ganzen Welt schwebt, den Einzelnen oft ganz
wunderartig vorbeigeht und verschont.
Das Portefeuille, wonach Sie, wie billig, mit
Antheil fragen, ist durch die Vermittlung des
Herrn Obrist von Radowitz zu Berlin, in meinen
Händen. Ich habe das mir in einem beygefügten
Schreiben des trefflichen Freundes gewidmete Na
tur- und Kunstblatt, mit einer gewissen scheuen
Dankbarkeit in meine Sammlung zu den besten
gelegt und empfand um so mehr einige Verlegen
heit, als es mir, geraume Zeit, nicht gelingen
wollte, seinen wiederholten Wunsch zu erfüllen.
Ich hatte immer eine Art Scheu, den zwischen den
herrlich-reinlichen Arabesken gelassenen Raum
durch Schrift zu verunstalten, besonders da ich der
Absicht gemäß hielt, selbst zu schreiben und man
dann doch niemals vor Unglück und Irrthum der
Feder gewiß seyn kann. Endlich hab ich mir ein
Herz genommen, und es steht nun, wie es eben ge
lingen wollte.
Dieses Hauptblatt ist nun, wie es angekommen,
sorgfältig eingepackt und steht zu augenblicklicher
Absendung bereit. Den Namen desjenigen, der,
von Kassel aus, mir früher dergleichen Kunstschätze
spedirte, wüßt ich nicht gleich zu finden. Wollten
Sie mir ihn melden und dem guten Mann einen
näheren Auftrag geben, so könnte dieser Schatz,
den ich ungern so lange verwahrte, bald wieder in
Ihren Händen seyn. Meine gute Schwiegertoch
ter dankt für das ihr erwiesene Vertrauen und 5
5) Lebensbild a. a. O., S. 77.